Samstag, 25. Juli 2015

BGH-Verhandlung mit GEMA und Telekom über Überwachung und Netzsperren

 
Da ist Musik drin: Der BGH verhandelt mit GEMA und Telekom zur Störerhaftung

Der 1. Zivilsenat des BGH wird am 30. Juli 2015 im Verfahren I ZR 3/14 mit der klagenden GEMA und der beklagten Deutschen Telekom darüber verhandeln, ob und ggf. in welcher Weise ein Internet-Access-Provider als Störer für Urheberrechtsverletzungen seiner Kunden haftet und durch welche Überwachungsmaßnahmen, Netzsperren oder Netzfilter Telekom & Co. das evtl. zu unterbinden haben.

Die GEMA will Überwachung, Netzsperren oder Filter:

Überprüft wird dabei das vorausgegangene Urteil des OLG Hamburg vom 21. November 2013, Az. 5 U 68/10. Die GEMA wollte und will der Telekom gerichtlich untersagen lassen, über von der Telekom bereitgestellte Internetzugänge Dritten den Zugriff auf Links zu den streitgegenständlichen Musikwerken über die Webseite "3dl.am" zu ermöglichen. Das Hamburger Berufungsgericht hatte – wie auch das Landgericht Hamburg (Urteil vom 12. März 2010, Az. 308 O 640/08) – die Klage abgewiesen und die Verhältnismäßigkeit von Überwachung, Netzsperren oder Filter verneint.
Die GEMA rügt weiterhin eine angebliche Verletzung von ihr wahrgenommener Urheberrechte, da sie auch Inhaberin des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung der streitgegenständlichen Musikwerke sei.
Über die Webseite „3dl.am“, eine werbefinanzierte Linksammlung, konnte nach Darstellung der GEMA auf z. B. bei den Sharehostern "RapidShare", "Netload" oder "Uploaded" widerrechtlich hochgeladene, urheberrechtlich geschützte Musikwerke zugegriffen werden, und zwar über auf entsprechende Datensammlungen hinführende Hyperlinks und URLs. Die GEMA ist der Auffassung, die Deutsche Telekom habe als Störerin einzustehen für das Bereithalten der einen Download durch beliebige Nutzer ermöglichenden Links und URLs auf der Webseite "3dl.am". Es sei ihr als Access-Providerin durchaus möglich und auch zumutbar, derartige Rechtsverletzungen zu verhindern.
Das OLG Hamburg sah dies anders:
Schließlich betrieben  Access Provider ein von der Rechtsordnung ohne Einschränkung gebilligtes Geschäftsmodell. Ihre Dienstleistung sei inhaltlich neutral und sozial erwünscht.
Zwar leiste ein Access Provider durch die Zugangsvermittlung einen adäquat-kausalen Beitrag zu den behaupteten Urheberrechtsverletzungen durch entsprechende Inhalte auf den Webseiten. Bei der Beurteilung von möglicherweise zu verlangenden Prüfungs- und Überwachungspflichten seien allerdings die Wertungen der in §§ 8-10 TMG enthaltenen Haftungsprivilegien zu berücksichtigen. Die Rechtsprechung zu Prüfungs- und Überwachungspflichten für Host Provider fände auf Access Provider keine Anwendung. Insbesondere könnten z. B. URL-Sperren durch Zwangs-Proxys, DNS-Sperren, IP-Sperren und Filter von Access Providern ohne gesetzliche Grundlage nicht verlangt werden. Das gelte unabhängig davon, ob diese wirksam oder ineffektiv sind.
Derartige Maßnahmen können nach zutreffender Einschätzung des Hanseatischen OLG in unverhältnismäßiger Weise die Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG, die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG und die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG verletzen. Durch die Einrichtung einer Filterung des Datenverkehrs würde zudem nicht hinnehmbar der Kernbereich der durch Art. 10 Abs. 1 GG und §§ 88 ff. TKG geschützten Vertraulichkeit der Telekommunikation (Fernmeldegeheimnis) verletzt, auch soweit rein automatisierte Vorgänge stattfinden.
Die medienrechtlichen und verfassungsrechtlichen Bewertungen der Vorinstanzen überzeugen. Ich prognostiziere eine erneute prozessuale Niederlage der GEMA.

Sonntag, 19. Juli 2015

Bundesverfassungsgericht stoppt privates Hausverbot für Flashmob-Demo


Eigentum mit Schranken: BVerfG stärkt Kommunikationsfreiheit - Foto: Labeth
Das Bundesverfassungsgericht hat am 18.07.2015 eine Einstweilige Anordnung erlassen (Az. 1 BvQ 25/15) zur Durchführung einer Flashmob-Versammlung. Das Hausverbot für ein am Ende einer Fußgängerzone gelegenes Privatgrundstück wurde aufgehoben. 
Der Veranstalter beabsichtigt, am 20.07.2015 von 18:15 Uhr bis 18:30 Uhr eine stationäre öffentliche Versammlung durchzuführen, und zwar auf dem im Eigentum einer GmbH & Co. KG stehenden „Nibelungenplatz“ in Passau.
Mit der geplanten Versammlung unter dem Motto „Bierdosen-Flashmob für die Freiheit“ will der Veranstalter auf dem für den Publikumsverkehr geöffneten, zentral gelegenen Platz gegen die zunehmende Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols sowie die zunehmende Beschränkung von Freiheitsrechten demonstrieren. Auf das Kommando „Für die Freiheit - trinkt AUS!“ sollen die Demonstranten jeweils eine Dose Bier öffnen und diese dann so schnell wie möglich auf Ex leeren. Danach plant der Veranstalter eine kurze Ansprache mit anschließender Diskussion.
Mit seinem Antrag, ein von der GmbH & Co. KG ausgesprochenes Hausverbot für die Dauer der Versammlung aufzuheben, war der Beschwerdeführer vor dem Amtsgericht und dem Landgericht noch gescheitert. Diese zivilgerichtlichen Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht gestern im Wesentlichen aufgehoben.
Es gibt bisher keine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung der Karlsruher Richterinnen und Richter zur Versammlungsfreiheit auf öffentlich zugänglich gemachten Privatgrundstücken. Im Eilverfahren zeigt das Bundesverfassungsgericht nun die grundsätzliche Geltung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit auch dort auf, wo durch einen Privateigentümer "bereits ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet worden ist“.

In der Pressemitteilung aus Karlsruhe heißt es dazu:
"Der beabsichtigte Ort der Versammlung steht zwar im Eigentum einer Privaten, ist zugleich aber für den Publikumsverkehr offen und schafft nach den Feststellungen des Landgerichts einen Raum des Flanierens, des Verweilens und der Begegnung, der dem Leitbild des öffentlichen Forums entspricht.
Als private Grundstückseigentümerin ist die GmbH & Co. KG nicht wie die staatliche Gewalt unmittelbar an Grundrechte gebunden. Dennoch entfalten die Grundrechte als objektive Prinzipien rechtliche Wirkungen; die Versammlungsfreiheit ist im Wege der mittelbaren Drittwirkung nach Maßgabe einer Abwägung zu beachten. Je nach Fallgestaltung kann dies einer Grundrechtsbindung des Staates nahe oder auch gleich kommen. Für den Schutz der Kommunikation kommt das insbesondere dann in Betracht, wenn private Unternehmen die Bereitstellung der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation selbst übernehmen und damit in Funktionen eintreten, die früher in der Praxis allein dem Staat zugewiesen waren (vgl. BVerfGE 128, 226).“
Weiter heißt es zu dem von der Eigentümerin  ausgesprochenen und von den Zivilgerichten bestätigten Hausverbot:
„Vorliegend träfe das aus dem Hausverbot folgende faktische Verbot einer Durchführung der Versammlung den Antragsteller schwer. Dem vom Beschwerdeführer ausgewählten Versammlungsort kommt angesichts des Themas der Versammlung - die zunehmende Beschränkung von Freiheitsrechten und die Privatisierung der inneren Sicherheit - eine besondere Bedeutung zu. Demgegenüber ist eine gleichwertige Beeinträchtigung von Eigentumsrechten der Grundstückseigentümerin nicht zu erkennen. Die Versammlung ist auf einen Zeitraum von etwa 15 Minuten beschränkt und soll stationär abgehalten werden. Versammlungsrechtliche Bedenken gegen die Veranstaltung vermochte die Versammlungsbehörde nicht zu erkennen.“ 
Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte geht an Privateigentümern nicht vorbei. Eigentum verpflichtet in einer demokratischen Gesellschaft eben auch zu Verantwortung und Augenmaß bei der privaten Ermöglichung öffentlicher Kommunikation und Demonstration.

Samstag, 4. Juli 2015

Abmahnung an Schäuble & Co.: Die Wahrheit über diesen Euro, die Spar-Diktate und die langjährigen Profiteure

Warum "Strenge" als Euro-Rezept unfair und unrealistisch ist

 
Letztes Update: 05. Juli 2015
Nein, ich kann mir nicht helfen: Noch vor wenigen Tagen dachte ich, wer auf die griechischen und europäischen Zukunftsfragen und den drohenden #Grexit mit europäischen Sünden aus der Vergangenheit daherkommt, sollte das Lamentieren sein lassen und stattdessen lieber konkrete Lösungswege für die Gegenwart aufzeigen.

Diese meine Meinung war falsch.

Die Mehrheit der Akteure in Europa - aus Politik, Wirtschaft (einschließlich Banken) und Medien - hat nämlich die folgenden fünf Wahrheiten aus der Vergangenheit geschickt verdrängt bzw. uns vorenthalten. Diese erschreckenden Wahrheiten dürfen von uns beim weiteren Umgang mit Europa und Griechenland aber nicht ignoriert werden:
1.      Die einzige erfolgreiche Sparpolitik erfolgte nach der Wiedervereinigung zur Jahrtausendwende, als das damals kriselnde Deutschland mit niedrigen Löhnen durch Exporte in das sonst boomende und hochlohnig agierende Europa sich sanieren konnte. Dies geschah nicht zuletzt in der Weise, dass die deutschen Banken verdienten, und zwar an Krediten in die südeuropäischen Länder, von wo aus mit den Finanzmitteln dann die Exporte deutscher Niedrig-Lohn-Unternehmen bezahlt wurden. Diese Exporte beschädigten und zerstörten nicht zuletzt gleichzeitig die Produktion in den südeuropäischen Ländern. 

2.      Mit Einführung der Währungsunion und des Euro 2002 galten plötzlich alle Staatsanleihen aufgrund ihrer Absicherung durch die europäische Zentralbank als absolut sicher. Das ermöglichte den Banken ein totsicheres Geschäft: Sie liehen sich Unmengen Geld zu niedrigen Zinsen und kauften sich davon grenzenlos Staatsanleihen - so viel nur ging. Die Differenz ergab bemerkenswerte hohe Banken-Gewinne ... bis zu den drohenden Staatspleiten, vor denen die Banken nun besonders zittern.   

3.      Als 2008 in den USA die Immobilienblase platzte, wurden nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch von den westeuropäischen Staaten riesige Geldmengen zur Bankenrettung und für Investitionsprogramme eingesetzt, was zur recht schnellen Erholung der Wirtschaft bereits in 2009 führte. 2010 rissen die führenden Kräfte und Köpfe in Europa das Steuer dann plötzlich herum und entschieden bzw. diktierten dann einen rigiden Sparkurs in der Haushalts-, Sozial- und Lohnpolitik der Euro-Länder. Schließlich konnte man sich mit Disziplin und Härte auch auf die vereinbarten Regeln und strengen (Defizit-)Vorgaben der Währungsunion berufen - besonders leicht als bereits zuvor saniertes Deutschland. Und die EZB kauft den deutschen und französischen Banken noch hilfsweise und netterweise die griechischen Staatsanleihen ab. Das auch durch Leistungsbilanzdefizite geschwächte Griechenland ist und bleibt der Dumme.   

4.      Die einzelnen Staaten hatten und haben gleichzeitig aber keinerlei eigene effektive Mittel zur eigenen wirtschaftspolitischen Steuerung:  
  • Das strenge Spar-Diktat verhinderte und verhindert die noch 2008 und 2009 so wirkungsvoll gewesene weitere Ankurbelung der jeweiligen eigenen Wirtschaft.
  • Eine Abwertung der eigenen Währung war und ist den Euro-Staaten ebenfalls nicht möglich.
  • Und eine eigene Zinspolitik der Euro-Staaten scheidet ebenfalls aus.
  • Damit gibt es praktisch keine nationale wirksame Wirtschaftspolitik … und trotz Euro gibt es bekanntlich ja auch keine und schon gar keine demokratisch legitimierte (EU-Parlament?!) europäische Wirtschaftspolitik.
  • Die europäische Wirtschaftspolitik besteht de facto nur in einer Maxime: die strenge Sparpolitik, die sogenannte „Austerität“  (lateinisch "austeritas" bedeutet deutsch "Strenge" und "Herbheit")  – herzlichen Glückwunsch Europa zur "harten" Währung. 
5.      Aber in Irland, Portugal und Spanien hat der „disziplinierte“ Sparkurs doch schon geholfen? Wenn wir gestiegene Massenarbeitslosigkeit, gestiegene Schulden und gestiegene Sozialausgaben bei gesunkenen Steuereinnahmen und gesunkenen Perspektiven für breite Bevölkerungsschichten - ob jung oder alt - als gelungene Hilfe und vorbildliche Disziplin bewerten wollen … und wenn wir den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch in Griechenland gerade auch in den letzten Wochen betrachten … ich weiß ja nicht …  

Ich glaube, man hat uns nicht alles erzählt und es wird Zeit für eine Abmahnung an diesen Euro und die derzeitigen Europäischen Entscheider. Mehr faire Wahrhaftigkeit und weniger unrealistische Strenge und Härte.