Mittwoch, 9. Dezember 2015

Die drei Filesharing-Urteile des BGH: Keine Panik!

Nun liegen sie vor, die drei Urteile des Bundesgerichtshofes vom 11.06.2015 mit ihren vollständigen schriftlichen Entscheidungsgründen. Da wird die Rechteindustrie fleißig zu neuen Abmahnungs-Feldzügen blasen – mehr oder weniger musikalisch, filmisch oder spielerisch.
Bevor tatsächlich eine weitere und höhere Abmahnungswelle gemacht wird, an dieser Stelle zunächst nur so viel:


Es gibt keinen Anlass, anlässlich dieser drei eher exotischen BGH-Fälle bei zukünftigen überambitionierten Filesharing-Abmahnungen die internetrechtliche Flinte voreilig ins lizenzanaloge Korn zu werfen.
Was waren das denn überhaupt für Tauschbörsen-Fälle, in denen den Beklagten die Felle weggeschwommen sind?
Klägerinnen waren in allen drei Revisonsverfahren die vier deutschen "Tonträgerherstellerinnen" Warner, Sony, Universal und EMI. Diese beriefen sich jeweils auf angeblich ordnungsgemäße Recherchen eines Crawling-Unternehmens, wonach im Jahre 2007 über eine IP-Adresse jeweils mehrere hundert bzw. mehrere tausend Musiktitel zum Herunterladen innerhalb eines P2P-Systems verfügbar gemacht worden sein sollen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte mit Hilfe des Internetserviceproviders die jeweiligen Beklagten als vermeintliche Inhaber des der IP-Adresse zugewiesenen Internetanschlusses.
Die Musikverlage verlangten von den Beklagten urheberrechtlichen Schadensersatz in Höhe von mehreren tausend Euro sowie Ersatz von anwaltlichen Abmahnkosten in ähnlicher Größenordnung. 


1. Wenn andere Personen nach eigenem Vortrag ausscheiden
Im Verfahren I ZR 19/14 („Tauschbörse I“) hatte der Internetserviceprovider als angeblichen Inhaber der IP-Adresse eine Person angegeben, die in einem Buchstaben von dem Familiennamen des Beklagten abwich und ansonsten mit seinem Vor- und Nachnamen und seiner Anschrift übereinstimmte.
Nach anwaltlicher Filesharing-Abmahnung gab der Beklagte, ein selbständiger IT-Berater, ohne Rechtsanerkenntnis eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab und wies gleichzeitig die geltend gemachten Zahlungsansprüche zurück. Er bestritt die Richtigkeit der Recherchen des Crawling-Unternehmens und die per Excel-Tabelle übermittelten Angaben des Internetserviceproviders sowie seine und die Täterschaft seiner im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen (Ehefrau und damals 17-jähriger Sohn). Der im Arbeitszimmer des beklagten IT-Beraters installierte PC war zur fraglichen Zeit unstreitig eingeschaltet und per Kabel mit dem Internet verbunden. Die beim Beklagten angestellte und den Computer insoweit ebenfalls beruflich nutzende Ehefrau verfügte nicht über ausreichende Administratorenrechte zum Aufspielen von Programmen. Dem Sohn war das Rechner-Passwort unbekannt.
Das LG Köln hat mit Urteil vom 31.10.2012 (Az. 28 O 306/11) der Klage stattgegeben. Zweitinstanzlich wurde dieses Urteil im Wesentlichen bestätigt. Die entsprechende Entscheidung des OLG Köln (Az. 6 U 205/12) datiert vom 20.12.2013. Der Berufungssenat des OLG hielt es aufgrund der in beiden Tatsachen-Instanzen durchgeführten Beweisaufnahmen für nachgewiesen, dass die Musikdateien über den Internetanschluss des Beklagten zum Herunterladen verfügbar gemacht worden sind. Der Beklagte sei hinsichtlich der Urheberrechtsverletzungen als Täter anzusehen. Dies hat der BGH konsequent bestätigt, da nach dem eigenen Vortrag des beklagten IT-Experten andere Personen als Verantwortliche für die streitige Verletzungshandlung ausschieden.
Die theoretische Möglichkeit, dass bei Ermittlungen von proMedia oder des Internetserviceproviders Fehler vorkommen können, spricht nach Auffassung des BGH noch nicht gegen die Beweiskraft der Ermittlungsergebnisse, wenn im Einzelfall keine konkreten Fehler dargelegt werden. Ein falscher Buchstabe bei der Namenswiedergabe in einer Auskunftstabelle reiche insoweit nicht aus.  

2. Wenn ein polizeiliches Geständnis vorliegt

Im Verfahren I ZR 7/14 („Tauschbörse II“) wurde der Internetanschluss von der Beklagten, ihrem 16-jährigen Sohn und ihrer 14-jährigen Tochter genutzt. Gegenüber der Polizei hatte die Tochter zugegeben, "über eine Tauschbörse und die Software Bearshare 407 Audio-Dateien heruntergeladen und öffentlich zugänglich gemacht zu haben". Auf die anwaltliche Abmahnung reagierte die Mutter mit der Abgabe der einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Die Beklagte wendete sich im Laufe des Zivilprozesses gegen die Verwertung des polizeilichen Geständnisses ihrer Tochter. Zudem behauptete sie, ihre Tochter über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Musiktauschbörsen belehrt zu haben.
Das LG Köln hat mit Urteil vom 02.05.2013 (Az. 14 O 277/12) nach der Zeugenvernehmung der Tochter der Klage überwiegend stattgegeben. Das OLG Köln hat diese Entscheidung mit Berufungsurteil vom 06.12.2013 (Az. 6 U 96/13) im Wesentlichen bestätigt, da die Täterschaft der Tochter erwiesen sei und der Mutter die Verletzung ihrer Aufsichtspflicht vorzuwerfen sei. Eine ausreichende Belehrung der Tochter wurde allerdings nicht nachgewiesen. Die Tochter konnte sich als Zeugin lediglich daran erinnern, dass ihre verklagte Mutter generell Regeln zu „ordentlichem Verhalten“ aufgestellt habe. Das konnte auch dem Bundesgerichtshof für eine sachgerechte Belehrung erwartungsgemäß nicht reichen. 

3. Wenn die Verteidigung gegen Abmahnung und Klage unplausibel, widersprüchlich und lückenhaft ist
Im BGH-Verfahren I ZR 75/14 („Tauschbörse III“) hat der Beklagte die Richtigkeit der Ermittlungen des Recherche-Unternehmens und die zeitgleiche Zuweisung der dynamischen IP-Adresse bestritten - ebenso wie die angeblichen Uploads durch ihn, seine im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen oder durch Dritte. Er sowie seine Ehefrau und seine beiden Söhne hätten sich zur angeblichen Tatzeit im Urlaub auf Mallorca befunden und vor dem Urlaubsantritt seien Router und Computer vom Stromnetz getrennt worden, wobei später dann vorgetragen wurde, es sei allerdings nicht auszuschließen, dass einer der Familienangehörigen vor der angeblichen Abreise heimlich die Anlage wieder angestellt hat.
Das LG Köln hat mit Urteil vom 24.10.2012 (Az. 28 O 391/11) die Klage abgewiesen. Das OLG Köln hat demgegenüber den Beklagten mit Urteil vom 14.03.2014 (Az. 6 U 210/12) nach Zeugenvernehmung eines Mitarbeiters des Crawling-Unternehmens sowie der Familienangehörigen antragsgemäß verurteilt. Der OLG-Senat hat es als technisch erwiesen angesehen, dass die Musikdateien von dem Rechner des Beklagten zum Herunterladen angeboten wurden. Der Beklagte habe als Anschlussinhaber für die Urheberrechtsverletzungen einzustehen, weil nach seinem eigenen Vortrag ein anderer Täter nicht ernsthaft in Betracht komme. Das Bestreiten seiner Verantwortlichkeit stelle sich "als denklogisch fernliegend und daher prozessual nicht erheblich dar."
Der Erste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auch die dagegen gerichtete Revision zurückgewiesen, da es den Karlsruher Richtern im Rahmen der sekundären Darlegungslast nicht genügt, wenn der Abgemahnte bzw. der Beklagte „lediglich pauschal die theoretische Möglichkeit des Zugriffs von in seinem Haushalt lebenden Dritten auf seinen Internetanschluss behauptet“. In der hier betroffenen Fall- und Prozess-Konstellation mit wechselndem und widersprüchlichem Sachvortrag und mit Zeugen, die sich durch recht unplausible Erinnerungslücken auszeichneten, findet eine absehbar kritische richterliche Würdigung der sekundären „Darlegungen“ des Beklagten statt – wenn auch diese kritischen Karlsruher Würdigungen selbst nicht an allen Stellen zwingend und widerspruchsfrei sind. Dazu werde ich mich evtl. in einem späteren Beitrag vertiefter auslassen. Diesbezüglich und zur tatsächlich fragwürdigen "tatsächlichen Vermutung" der Karlsruher Richter hat sich sehr instruktiv bereits der Kollege Stadler geäußert.
Im „Tauschbörse III“-Urteil führt der Bundesgerichtshof zur sekundären Darlegungslast im Ergebnis formelhaft aus:

„Den Beklagten als Inhaber des Internetanschlusses trifft im Hinblick auf die Frage, ob zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung andere Personen den Anschluss nutzen konnten, eine sekundäre Darlegungslast, der er nur genügt, wenn er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat (vgl. BGHZ 200, 76 Rn. 20 - BearShare; BGH, Urteil vom 11. April 2013 - I ZR 61/12, TransportR 2013, 437 Rn. 31). Diesen Anforderungen wird die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt des Beklagten lebenden Dritten auf seinen Internetanschluss nicht gerecht.“
Damit wird man m. E. sachgerecht umgehen können und müssen - ohne übertriebene Panik und mit seriösen und plausiblen Darlegungen.

Richtig bleibt nach alledem auch nach den drei Juni-Urteilen:
  • Kinder sorgfältig und nachweisbar über die Rechtswidrigkeit illegalen Filesharings belehren.
  • Kinder oder andere Familienangehörige nach einer Abmahnung nicht ohne weiteres belasten.
  • Etwaige Verstöße von Familienangehörigen allerdings auch nicht voreilig als alternatives "Tatgeschehen" ausschließen.
  • Nicht allein oder primär auf etwaige technische Zweifel und diesbezügliche Argumentationen setzen, da Gerichte sich damit nur selten vertiefter auseinanderzusetzen bereit sind.
  • Nicht allein oder primär auf Diskussionen über Recherche- und Dokumentierungsgrundlagen, Schadenshöhen und Kosten-Reduzierungen setzen.
  • Und schließlich die sekundären Darlegungspflichten nicht auf die leichte Schulter nehmen und insbesondere auch wahrheitsgemäß und plausibel zu etwaigen Erinnerungslücken und eingeschränkten Zumutbarkeiten vortragen. Vor kreativer Dichtkunst mit widersprüchlichen Phantasien warnt Ihr Rechtsanwalt und Apotheker.

Freitag, 27. November 2015

Foto-Abmahnung: Land haftet für vom Lehrer gestaltete Schul-Webseite


Das OLG Celle hat mit Beschluss vom 09.11.2015 (Az. 13 U 95/15) entschieden, dass ein Lehrer, der für das Fachangebot seiner Schule im Internet wirbt, „in Ausübung eines öffentlichen Amtes“ handelt und dass das beklagte Land deshalb für dadurch entstehende Urheberrechtsverletzungen haftet (nach §§ 13, 15, 72, 97 Abs. 2 UrhG  i. V. m. § 839 BGB und Art. 34 GG).

Damit hat das OLG das vorausgegangene Urteil des LG Hannover vom 14.07.2015 (Az. 18 O 413/14) bestätigt und die Berufung des Landes Niedersachsen zurückgewiesen.

Das fremde Foto auf der Schul-Homepage

Auf seinen Internetseiten warb ein niedersächsisches Gymnasium u.a. für seine Fremdsprachen-Angebote. Der Schulleiter oder - was nicht aufgeklärt werden konnte - ein anderer Lehrer hatte, ein vom Kläger gefertigtes Foto in die Schul-Webseite eingestellt, um so für den an der Schule angebotenen Spanisch-Unterricht zu werben.
Der Kläger verlangte nun dafür erfolgreich Schadensersatz vom Land Niedersachsen - nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie und unter Berücksichtigung der Honorartabellen der Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing (MFM).

Die Webseiten-Gestaltung vom Beamten

Schulleiter und die Lehrerinnen und Lehrer des Gymnasiums sind Landesbeamte im staatsrechtlichen bzw. zumindest im haftungsrechtlichen Sinne. Das OLG stellte fest, dass „der jeweilige Beamte, der das von dem Kläger gefertigte Lichtbild zur Bewerbung der an dem …-Gymnasium G. angebotenen Fremdsprache Spanisch auf die Internet-Seiten dieser Schule eingestellt hat, dabei in Ausübung seines öffentlichen Amtes gehandelt hat.“
Dies begründete das Berufungsgericht wie folgt:

„Ist die eigentliche Zielsetzung, in deren Dienst der Beamte tätig wurde, eine hoheitliche, so ist „Ausübung eines öffentlichen Amtes“ nicht nur die unmittelbare Verwirklichung, sondern auch eine entferntere (vorangehende, begleitende oder nachfolgende) dienstliche Betätigung, wenn ein solcher Zusammenhang besteht, dass die vorangehende oder nachfolgende Tätigkeit ebenfalls noch als dem Bereich der hoheitlichen Betätigung zugehörend anzusehen ist (Wöstmann, a. a. O. Rn. 85 m. w. N.).“

Die hoheitliche Online-Werbung 

Den haftungsrechtlich erforderlichen "engen Zusammenhang mit dem Schulbetrieb" begründet das Gericht wie folgt:

„Der hiernach erforderliche enge Bezug der Nutzung des Lichtbildes des Klägers auf den Internet-Seiten der Schule zum Zwecke der Werbung für deren Fremdsprachenangebot mit einer hoheitlichen Tätigkeit besteht. Der Schulbetrieb an öffentlichen Schulen ist eine hoheitliche Aufgabe und für Lehrer die Ausübung eines vom Staat anvertrauten öffentlichen Amtes (Wöstmann a. a. O. Rn. 778 m. w. N.). Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Werbung für das Fremdsprachenangebot der Schule im vorliegenden Fall weder eine Lehrtätigkeit als solche darstellte, die den Kernbereich des hoheitlichen Schulbetriebs darstellt, noch vergleichbar eng mit dieser Lehrtätigkeit verbunden war, wie beispielsweise die Zurverfügungstellung von Lehrmaterialien oder Computerprogrammen zur Nutzung während des Studiums, die Gegenstand der vorzitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 16. Januar 1992 und vom 20. Mai 2009 waren. Dennoch besteht der erforderliche enge Zusammenhang. Die als hoheitlich einzuordnende Tätigkeit von Lehrkräften und Beamten der Schulverwaltung geht über den eigentlichen Lehrbetrieb hinaus und umfasst den gesamten Schulbetrieb. Die Bewerbung eines Fremdsprachenangebots stellt sowohl formal als auch materiell Teil des Schulbetriebes dar. Sie soll einerseits die Nachfrage nach entsprechenden Fremdsprachenkursen steigern und damit deren Angebot ermöglichen. Als dergestalt der eigentlichen Lehrtätigkeit vorgelagerte Handlung steht sie weiter auch in der Sache mit dieser im engen Zusammenhang, weil sie auf die in der Lehrveranstaltung zu vermittelnden Inhalte bezogen ist. Sie ist insbesondere nicht mit Fiskalmaßnahmen wie der Beschaffung von Verwaltungshilfsmitteln (z. B. Schreibmaterial) vergleichbar, die nicht Ausübung öffentlicher Gewalt sind (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 16. Januar 1992, a. a. O., Tz. 20 a. E.). Solche nicht als hoheitlich einzuordnenden Fiskalmaßnahmen sind regelmäßig Maßnahmen, die nur die wirtschaftlichen oder technischen Voraussetzungen für die eigentliche hoheitliche Tätigkeit schaffen (BGH, Urteil vom 4. März 1982 - III ZR 150/80, juris Tz. 8). Hierüber geht die Bewerbung des fachlichen Angebots einer Schule aus den vorgenannten Gründen hinaus."


Die Verletzungen von Urheberrecht und Amtspflicht

Der 13. Zivilsenat des OLG Celle bestätigt die erstinstanzlich bereits vom Landgericht Hannover vertretene Rechtsauffassung und bewertet Urheberrechtsverletzungen als gleichzeitige Amtspflichtverletzungen:

"Das Landgericht hat weiter zutreffend erkannt, dass ein Beamter, der in Ausübung seines öffentlichen Amtes eine unerlaubte Handlung auch i. S. d. § 97 UrhG begeht, dadurch zugleich eine ihm dem Träger des Rechts oder Rechtsguts gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 1992, a. a. O. Tz. 21).
Dass Diensteanbieter nach dem Telemediengesetz nicht die Anstellungskörperschaft, sondern der Schulträger ist, ist für die Beurteilung des Anspruchsübergangs nach § 839 BGB, Art. 34 GG unerheblich.“ 

Die anderen Gerichte

Zu vom beklagten Land eingewendeten anderslautenden gerichtlichen Entscheidungen führte das OLG aus:
„Im Hinblick auf die vorprozessual von dem beklagten Land vertretene Rechtsauffassung weist der Senat insbesondere darauf hin, dass das dort in Bezug genommene Urteil des OLG Braunschweig vom 8. Februar 2012 den hier nicht vergleichbaren Sonderfall einer ungenehmigten Fotonutzung für einen privaten E.-Verkauf betraf (2 U 7/11, juris Tz. 57 ff.). Die in Bezug genommene Entscheidung des OLG Hamburg vom 2. September 2009 stützte sich insoweit, als die Zuerkennung eines Zuschlags zum üblichen Honorar aufgrund der unterlassenen Urheberbenennung nicht zuerkannt wurde, tragend darauf, dass dort die unterbliebene Urheberbenennung bereits Teil der vorangegangenen Vereinbarungen und daher durch die dort vereinbarte Vergütung mit abgegolten war (Urteil vom 2. September 2009 - 5 U 8/08, juris Tz. 34).“

Der Internetauftritt als kommunale "Schulanlage"

Das OLG stellt zur nicht in Betracht kommenden Haftung des kommunalen Schulträgers klar:
„Dass der Schulleiter nach § 111 Abs. 2 Satz 1 NSchG u.a. die Aufsicht über die Schulanlage im Auftrag des Schulträgers ausübt, führt nicht dazu, dass der Schulträger anstelle des beklagten Landes passivlegitimiert wäre. Dabei kann offen bleiben, ob der Internetauftritt der Schule Teil der „Schulanlage“ i.S.d. § 111 Abs. 2 Satz 1 NSchG ist, wofür allerdings einiges spricht. ...
 Allein durch die Heranziehung eines Kommunalbeamten zur Erfüllung staatlicher Aufgaben wird dieser aber nicht zu einem Beamten mit einer Doppelstellung im haftungsrechtlichen Sinne; er verbleibt vielmehr in seinem ursprünglichen Anstellungsverhältnis (BGH a.a.O. Tz. 19). Dieser Grundsatz gilt vorliegend entsprechend, wo der Schulleiter als Landesbeamter für die Erfüllung kommunaler Aufgaben herangezogen wird.“ 

Die Bundesländer als neue bzw. nun vielleicht öfter bedachte Abmahnungsadressaten: ... Wenn das "Schule macht", kündigen sich ja spannende Vorgänge an - und vielleicht auch zukünftige Ambitionen des Gesetzgebers, über das sanierungsbedürftige Urheberrecht im digitalen, medialen und kulturellen Wandel neu nachzudenken. 


 

Donnerstag, 5. November 2015

Recherche-Technik bei Filesharing-Klagen mangelhaft

Neues Urteil des Amtsgerichts Braunschweig rügt Ermittlungen

Das Landgericht Braunschweig befasst sich wohl bald mit der Recherche-Software bei Filesharing-Abmahnungen

Die technischen Inhalte von Filesharing-Abmahnungen verdienen kritischere Betrachtungen: Das Amtsgericht Braunschweig hat in einem von den Kollegen Werdermann und von Rüden erwirkten erstinstanzlichen Filesharing-Urteil vom 19.102015 (Az. 117 C 2852/15) deutliche Feststellungen zu fragwürdigen sowie tatsächlich und rechtlich nicht verwertbaren Ermittlungsmethoden durch Crawling-Unternehmen getroffen.

In der noch nicht rechtskräftigen Entscheidung heißt es u. a.:   
„Die anderen Teilnehmer müssen aber in die Lage versetzt sein, auf das gesamte Werk oder zumindest auf verwertbare Teile davon zuzugreifen. Der nach der Darstellung der Klägerin vom Beklagten eingesetzte File-Sharing-Client basiert auf dem BitTorrent-Protokoll. Es erlaubt Teilnehmern, jeweils einzelne Stücke einer Dateien, die Chunks genannt werden, herunterzuladen und diese nach ihrer Komplettierung zu der ganzen Datei zusammenzufügen. Diese Chunks müssen eine Mindestgröße von 9 MB aufweisen (vgl. http:bittorrent-faq.de/). Ein üblicher DSL-16.000-Anschluss erlaubt ein maximales Uploadvolumen von 2.400 Kbit/Sek, so dass das Hochladen von 9 MB mehr als 30 Sekunden benötigt. Die Feststellung der Firma Guardaley Ltd. lasten dem Beklagten aber nur 1 Sekunde oder sogar nur einen Bruchteil davon während der Verletzungshandlung an, denn sie gibt für sie keinen Zeitraum, sondern einen einzelnen sekundengenau festgehaltenen Zeitpunkt an. In einer Sekunde lassen sich aber höchstens 0,29 MB hochladen.“
Weiter wird ausgeführt:
„Folglich ist es ebenso gut möglich und nach allgemeiner Lebenserfahrung sogar naheliegend, dass der Nutzer im Moment der ihm angelasteten Verletzungshandlung eine völlig andere als die geschützte Dabei heruntergeladen hat.“
Sodann folgt die konsequente und überzeugende richterliche Schlussfolgerung:
„Nach alldem ist die von der Guardaley Ltd. angewandte Ermittlungsmethode ungeeignet, Rechtsverletzungen im Wege des öffentlichen Zugänglichmachens geschützter Werke nachzuweisen oder auch nur plausibel erscheinen zu lassen.“
Dieses Urteil korrespondiert mit vorausgegangenen richterlichen Bedenken gegen die hier betroffene Ermittlungssoftware „Observer“:
Die mit Filesharing-Klagen befassten Gerichte sind zu Recht immer weniger bereit, die den Filesharing-Abmahnungen zugrunde gelegten Recherche-„Ergebnisse“ unreflektiert als schlüssig oder gar bewiesen hinzunehmen. Das ist sachgerecht und prozessgerecht.
 

Sonntag, 1. November 2015

Neues Filesharing-Urteil des AG Bielefeld: Kein Verdacht gegen Kinder „ins Blaue hinein“ und kein Ausforschungsbeweis



Einbahnstraße für Filesharing-Klagen "ins Blaue hinein"
Internetrecht: Keine Sippenhaft vor dem Amtsgericht Bielefeld
Der Versuch, nach einer Filesharing-Abmahnung die gegen den abgemahnten Anschlussinhaber erhobene Klage anschließend durch Klageerweiterung gegen die beiden Söhne des Beklagten durchzusetzen, ist erstinstanzlich gescheitert.
 
Der Hintergrund:
Der klagende Insolvenzverwalter der insolventen Computerspiel-Produzentin hielt es jüngst für raffiniert, die fehlende Tatbegehung des zunächst allein verklagten Familienvaters unstreitig zu stellen und sich dann zusätzlich dessen zwei minderjährige Söhne als Beklagte zu 2) und zu 3) vorzunehmen.  Diese verdächtigte der Kläger wegen „üblichem Nutzungsverhalten von ähnlichen Jugendlichen in entsprechendem Alter“ als die angeblichen „Täter“ der behaupteten Urheberrechtsverletzung.  Und der Vater, der Beklagte zu 1), sollte sodann wegen Verletzung seiner elterlichen Aufsichtspflicht gemäß § 832 BGB haften.
Dem folgte das Amtsgericht Bielefeld mit aktuellem Urteil vom 15.10.2015 (Az. 42 C 526/14) zu Recht nicht:
In den richterlichen Entscheidungsgründen heißt es dazu u.a. (Fettdruck durch den Blogger):  

„Allein der Umstand, dass das behauptete Filesharing über den Internetanschluss des Beklagten zu 1) durchgeführt worden sein soll, führt nicht zu einer Haftung des Beklagten zu 1) als Störer. Vielmehr setzt die verschuldensunabhängige Haftung als Störer voraus, dass eine Verletzung von Prüfpflichten gegeben ist. Dies ist aber nicht der Fall, weil ohne besonderen Anlass keine Verpflichtung des Anschlussinhabers besteht, die Internetnutzung volljähriger Mitbenutzer, wie vorliegend durch die Ehefrau S., auf mögliche Urheberrechtsverletzungen zu überwachen.“
„Der Beklagte zu 1) haftet auch nicht aus § 832 BGB, da es insoweit bereits an einer substantiierten Darlegung fehlt, dass die behauptete Urheberrechtsverletzung durch eine Person widerrechtlich verursacht wurde, über die der Beklagte zu 1) kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht verpflichtet ist. Insoweit hat der Kläger vorgetragen, dass der Beklagte zu 1) die streitgegenständliche Nutzungshandlung nicht begangen habe und daher nur 2 Personen als Täter übrig blieben. Es handele sich hierbei um die beiden Söhne des Beklagten zu 1), … . Im Übrigen entspreche es dem üblichen Nutzungsverhalten von ähnlichen Jugendlichen im seinerzeitigen Alter der beiden jetzigen Beklagten zu 2) und 3), entsprechende Computerspiele wie beispielsweise „Two Worlds II“ zu spielen. Bei diesem Vorbringen des Klägers handelt es sich um eine ins Blaue hinein aufgestellte Behauptung, da der Kläger keine näheren Tatsachen vorträgt, aus denen sich ergibt, dass die Beklagten zu 2) und 3) für die Rechtsverletzung verantwortlich seien. Neben dem Beklagten zu 1) hatte nämlich des Weiteren die Ehefrau des Beklagten zu 1), Frau S., ungehinderten Zugang zum Internetanschluss. Darüber hinaus ist eine gemeinschaftliche Tatbegehung durch die Beklagten zu 2) und 3) nicht plausibel. Allein die bloße Vermutung, dass Spielen entsprechender Computerspiele gehöre zum üblichen Nutzungsverhalten von ähnlichen Jugendlichen im seinerzeitigen Alter rechtfertigt es nicht, eine Tatbegehung durch die Beklagten zu 2) und 3) anzunehmen. Für eine Haftung des Beklagten zu 1) aus § 832 BGB reicht es auch nicht aus, vorzutragen, dass möglicherweise eines der Kinder des Beklagten zu 1) für die Rechtsverletzung verantwortlich sei. Die Haftung nach § 832 BGB setzt vielmehr voraus, dass konkret der Minderjährige festgestellt wird, der für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Der Beklagte zu 1) kann nämlich erst dann, wenn der konkrete Täter feststeht, nach § 832 Abs. 1 S. 2 BGB dazu vortragen, dass er seiner Aufsichtspflicht hinsichtlich des konkreten Täters genügt hat. Ohne Feststellung des konkret handelnden Täters wird nach § 832 Abs. 1 BGB nicht verlangt, dass sich der Erziehungsberechtigte bzgl. aller möglichen in Betracht kommenden minderjährigen Täter entlastet.
„Ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten zu 2) und zu 3) scheitert bereits daran, dass es an einer substantiierten Darlegung des Klägers fehlt, dass die Beklagten zu 2) und zu 3) für das behauptete Anbieten des Computerspiels verantwortlich sind. … Mangels eines substantiierten Sachvortrages zu einer Verantwortlichkeit der Beklagten zu 2) und zu 3) für die behauptete Urheberrechtsverletzung kam auch eine Vernehmung der Beklagten zu 2) und zu 3) als Partei nicht in Frage. Bei der entsprechenden Vernehmung der Beklagten zu 2) und zu 3) hätte es sich aufgrund des Fehlens eines substantiierten Sachvortrags bzgl. einer Haftung der Beklagten zu 2) und zu 3) um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis gehandelt.“ 
 
Résumé:

Viele diskutieren den Umfang sekundärer Darlegungspflichten der Abmahnungsadressaten und Filesharing-Beklagten.

Es wird Zeit, sich - wie in dem von meinem Mandanten errungenen neuen urheberrechtlichen Urteil des Amtsgerichts Bielefeld - auch prozessual sachgerecht mit den primären Darlegungs-, Substantiierungs- und Beweispflichten der abmahnenden und klagenden Rechteinhaber zu befassen. Schlichter familiärer Generalverdacht, realitätsferne "tatsächliche Vermutungen" und Sippenhaft ins Blaue hinein widersprechen geltendem Urheberrecht, Zivilprozessrecht und Verfassungsrecht.
 

Freitag, 16. Oktober 2015

BGH-Abmahnung an das OLG Hamburg: Der Rap zum Urheberrecht

BGH-Urteil: Da ist Musik drin.
Mit nachlesbarem Urteil des BGH vom 16. April 2015 (Az.I ZR 225/12) hat der Erste Zivilsenat aus Karlsruhe dem OLG-Senat in Hamburg zur Musik von Bushido den urheberrechtlichen und verfahrensrechtlichen Marsch geblasen.

Die Kläger sind Mitglieder einer französischen Band. Sie behaupten, Bushido habe bei 13 von ihm veröffentlichten Musiktiteln Musik-Sequenzen von je etwa zehn Sekunden verwendet, die aus den Originalaufnahmen der Band gesampelt worden seien. Diese Musikteile habe Bushido jeweils als sich ständig wiederholende Tonschleifen, sogenannte Loops, zusammengesetzt, mit einem Schlagzeug-Beat verbunden und darüber seinen Rap gelegt.  
Einer der Kläger beruft sich auf sein Urheberrecht als Komponist. Die anderen Kläger berufen sich auf vermeintliche urheberrechtliche Ansprüche als Texter, obwohl der beklagte Rapper deren Texte nicht übernommen hat. Die Kläger verlangen nach vorausgegangener Abmahnung mit der Klage Unterlassung, Erstattung von Abmahnkosten und Zahlung einer Entschädigung für einen erlittenen immateriellen Schaden sowie ferner, dass der Beklagte einer Auskunftserteilung der GEMA gegenüber den Klägern über die sämtlichen Auswertungen und gegenüber dem Beklagten abzurechnenden Erlöse zustimmt. Die Kläger streben außerdem an, dass der Beklagte im Hinblick auf 12 der beanstandeten Musikstücke gegenüber der GEMA die Zustimmung zu seiner Streichung als Komponist sowie zur Eintragung des Klägers zu 1 als Komponist erteilt.

Der Rapper hat gegen das der Klage überwiegend stattgebende OLG-Urteil Revision zum BGH eingelegt.   
Die Karlsruher Richter stellen klar, dass die klagenden Textdichter keine Urheberrechte hinsichtlich der Musik-Sequenzen geltend machen können, sie nicht als Miturheber der Musikstücke anzusehen sind. Deren sogenannte Aktivlegitimation wird also verneint. Die Annahme einer Miturheberschaft setzt nämlich voraus, dass mehrere ein Werk gemeinsam geschaffen haben, ohne dass sich ihre Anteile gesondert verwerten lassen, was aber bei einerseits Text und andererseits Musik nicht der Fall ist. Liedtexte sind Sprachwerke gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG, musikalische Kompositionen sind demgegenüber Werke der Musik gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 UrhG. Diese beiden Werkarten sind selbstverständlich gesondert verwertbar und ein urheberrechtlicher Schutz hinsichtlich einer Verbindung von zwei unterschiedlichen Werkarten gewährt das Gesetz nicht.
Der BGH-Senat hat dann geprüft, ob eine Bearbeitung oder andere Umgestaltung oder lediglich eine freie Benutzung fremder Werke vorliegt. Dabei ist zu untersuchen, ob und ggf. welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Werkes ausmachen. Danach sind die streitgegenständlichen Gestaltungen zu vergleichen dahingehend, ob und ggf. in welchem Umfang in der gerügten Gestaltung eigenschöpferische Züge des älteren Werkes übernommen worden sind. Dabei kommt es auf den Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Gestaltungen an. Stimmt der Gesamteindruck überein, liegt eine Vervielfältigung des früheren Werkes vor. Dennoch kann das gerügte Werk derart wesentliche Veränderungen aufweisen, dass es nicht als reine Kopie zu bewerten ist. Es kann sich dann entweder als unzulässige Bearbeitung oder andere Umgestaltung gemäß § 23 UrhG darstellen oder als zulässige freie Benutzung des Ausgangswerkes gemäß § 24 UrhG. Die schöpferische Eigentümlichkeit liegt bei Musikwerken in ihrer individuellen ästhetischen Ausdruckskraft, woran urheberrechtlich auch nicht zu übertriebene Anforderungen gestellt werden dürfen. Es wird auch die sogenannte  kleine Münze geschützt, also auch recht einfache Kompositionsleistungen mit verhältnismäßig geringem Eigentümlichkeitsgrad.
Auf den künstlerischen Wert kommt es also nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht an. Eine schutzfähige Leistung kann sich aus der Melodie, dem Einsatz von Rhythmik, Tempo, Harmonik und Arrangement, aber auch Instrumentierung und Orchestrierung ableiten lassen. Keinen Urheberrechtsschutz genießen allerdings rein handwerkliche Leistungen „unter Verwendung formaler Gestaltungselemente, die auf den Lehren von Harmonik, Rhythmik und Melodik beruhen“.
Zum sogenannten „musikalischen Allgemeingut“ gehörende Tonfolgen einfachster Art oder bekannte rhythmische Strukturen sind nicht urheberrechtsfähig. Eine gewisse Gestaltungshöhe ist eben auch bei Musikwerken unverzichtbar. Maßgeblich ist insoweit die Auffassung „der mit musikalischen Fragen einigermaßen vertrauten und hierfür aufgeschlossenen Verkehrskreise“.
Der BGH vermisst beim Urteil des Hanseatischen OLG dazu nachvollziehbare Darlegungen des Gesamteindrucks der sich im Streitfall gegenüberstehenden Musik-Sequenzen. 
Die Rügen des BGH gegenüber dem Hamburger Berufungsgericht lauten unter Anderem:
„Soweit im Berufungsurteil auf einen ‚Gesamteindruck‘ Bezug genommen wird und sich das Berufungsgericht insoweit auf das den wechselseitig eingereichten Parteigutachten zu entnehmende Notenbild sowie auf den durch wiederholtes Anhören der entsprechenden Passagen gewonnenen Höreindruck gestützt hat, hat es zwar die tatsächlichen Grundlagen seiner Beurteilung benannt, nicht aber den daraus gewonnenen Gesamteindruck selbst nachvollziehbar beschrieben.“ 
und

„Die Beurteilung des Berufungsgerichts lässt nicht erkennen, warum der kompositorische Einsatz sphärischer Klänge mit Blick auf die vom Kläger verfolgte musikalische Stilrichtung des ‚Gothic‘ nicht als musikalisches Allgemeingut anzusehen ist, sondern über ein rein handwerks- oder routinemäßig anzusehendes Klangspektrum hinausgeht und deshalb eine individuelle Leistung ist.“
und

„Soweit das Berufungsgericht die von ihm durch Anhören der vom Kläger zur Akte gereichten Tonträger ermittelten Instrumente nur benennt (‚Streichinstrumente und Keyboard‘), ohne diese Instrumentierung konkret von einer rein handwerks- oder routinemäßigen Leistung abzugrenzen, fehlt es bereits im Ausgangspunkt an der Darlegung einer individuellen kompositorischen Schöpfung. Soweit das Berufungsgericht von einer ‚besonderen Art der Instrumentierung‘ oder deren ‚Eigentümlichkeit‘ ausgeht, hat es nicht nachvollziehbar dargelegt, worin die Besonderheit und Eigentümlichkeit bestehen soll. Auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Einsatz einer ‚Röhrenglocke (tatsächlich wohl Keyboard)‘, die an den Klang von Kirchenglocken erinnere, sei eine Besonderheit, ist ohne Feststellungen zur für die im Streitfall maßgebliche Musikrichtung des ‚Gothic‘ gewöhnlich gewählten Instrumentierung nicht nachvollziehbar. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass das Berufungsgericht an anderer Stelle festgestellt hat, dass die Musikrichtung des ‚Gothic‘ sich durch eine getragene Musik und einen mit Metaphern geschmückten Inhalt der Texte über Abschied und Tod auszeichnet. In diesem Kontext erscheint die Annahme nicht fernliegend, dass der Einsatz von Kirchenglocken zum musikalischen Allgemeingut zählt.“
und

„Die Ausführungen des Berufungsgerichts lassen weder erkennen, wodurch sich der Rhythmus der jeweiligen Passagen in Bezug auf Takt, Tempo, Betonung und Phrasierung auszeichnet, noch welchen Einfluss der gewählte Rhythmus in der Zusammenschau mit anderen Gestaltungsmitteln auf die ästhetische Gesamtwirkung der Passage hat.
Auch die vom Berufungsgericht teilweise zusätzlich zur Instrumentierung und Rhythmisierung herangezogenen Kriterien begründen nicht hinreichend nachvollziehbar eine hinreichende Schöpfungshöhe der als übernommen gerügten Musiksequenzen. Die vom Berufungsgericht herangezogenen Gesichtspunkte der ‚Einprägsamkeit‘ und des ‚Wiedererkennungseffekts‘ sind für die Begründung einer eigenschöpferischen kompositorischen Leistung nicht geeignet.“
und

„Die Revision hat ferner zutreffend einen Verfahrensfehler darin gesehen, dass das Berufungsgericht die urheberrechtliche Schutzfähigkeit der streitbefangenen Passagen der vom Kläger komponierten Musiktitel aufgrund eigener Sachkunde beurteilt hat.

… Hat das Berufungsgericht das Verständnis des Verkehrs ohne Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe beurteilt, obwohl es selbst nicht hinreichend sachkundig ist, oder hat es eine mögliche, aber keineswegs selbstverständliche eigene Sachkunde nicht dargelegt, handelt es sich um einen Verfahrensfehler nach § 286 ZPO, der im Revisionsverfahren uneingeschränkt gerügt werden kann (BGH, Urteil vom 2. Oktober 2003 - I ZR 150/01, BGHZ 156, 250, 254 - Marktführerschaft, mwN). Im Streitfall liegt ein solcher Verfahrensfehler vor.“
und
„Soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, seine Mitglieder verfügten über eigene Sachkunde, die zum Teil aus eigener musikalischer Praxis erwachsen sei, hat es weder Art noch Umfang dieser Praxis und der sich daraus ergebenden Kenntnisse mitgeteilt. Es ist auch nicht ersichtlich, ob damit allein praktische Fertigkeiten gemeint sind oder die für die Beurteilung der Schutzfähigkeit von Musikwerken notwendigen theoretischen Kenntnisse der Lehren der Harmonik, Rhythmik und Melodik sowie das notwendige spezielle Wissen über die Üblichkeit der Verwendung von Gestaltungsmitteln in der maßgeblichen Musikrichtung. Auch der Hinweis auf die langjährige Beschäftigung mit Musik im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzungen als Mitglieder eines auf Urheberrecht spezialisierten Senats lässt nicht hinreichend konkret erkennen, ob der Inhalt und Umfang der Sachkunde des Berufungsgerichts den im Streitfall maßgeblichen Anforderungen genügen.“
Der BGH wendet sich gegen die Auffassung des OLG, die Übernahme der Musiksequenzen stelle eine unzulässige urheberrechtsverletzende Bearbeitung, weil sich der Beklagte nicht auf eine zulässige freie Benutzung im Sinne von § 24 UrhG berufen könne. Der BGH vermisst in dem Zusammenhang eine sachgerechte Analyse nach objektiven Merkmalen seitens das Hanseatische Oberlandesgericht.
Dazu heißt es dann im BGH-Urteil:
„Den Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es urheberrechtsverletzende Benutzungshandlungen angenommen hat, fehlt damit eine tragfähige Grundlage.“
Der dritte Leitsatz der Bundesrichter lautet schließlich:

„Für die Beurteilung der schöpferischen Eigentümlichkeit eines Musikstücks und die insoweit maßgebliche Abgrenzung von nicht dem Urheberrechtsschutz zugänglichem rein handwerklichem Schaffen unter Verwendung formaler Gestaltungselemente, die auf den Lehren von Harmonik, Rhythmik und Melodik beruhen oder die sonst zum musikalischen Allgemeingut gehören, reicht das bloße Anhören eines Tonträgers durch die Tatrichter grundsätzlich nicht aus; es wird vielmehr im Regelfall die Hilfe eines Sachverständigen unerlässlich sein.“ 
Da werden dem Hanseatischen Berufungsurteil musikalisch aber im rhythmisch heftigen Takt die urheberrechtlichen Leviten gelesen; dass hört sich schon fast wie eine gerappte Abmahnung aus Karlsruhe an.  

Dienstag, 29. September 2015

Verblüffendes Filesharing-Urteil entlarvt Abmahnungen und Schadensfantasie

Es gibt noch Richter und Richterinnen, die rechnen können.
Der von mir geschätzte Kollege Jens Ferner postet in einem lesenswerten Beitrag heute zu einem brillanten urheberrechtlichen Urteil des AG Stuttgart-Bad Cannstatt vom 13.08.2015 (Az. 8 C 1023/15). Die Akribie, mit der das Gericht sich in urheberrechtliche, technische und mathematische Details und Abläufe von Online-Tauschbörsen hineingefuchst hat, ist bewundernswert und in der bisherigen deutschen Rechtsprechungspraxis zu Filesharing-Abmahnungen einmalig.

Das Gericht bricht medien-technisch und rechnerisch die von der Abmahnungsindustrie propagierten Schadensszenarien auf realistische und marktrelevante Größen herunter und schmilzt damit korrespondierend gleichzeitig die überhöhten Gegenstandswerte ein. Diese Entscheidung ist allen Betroffenen und insoweit Interessierten dringend ans Herz zu legen.
Das amtsgerichtliche Urteil setzt sich übrigens gleichzeitig auch kritisch ("technisch nicht haltbar") mit einer der drei bisher unveröffentlichten Entscheidungen des BGH vom 11.06.2015 (Az. I ZR 7/14) auseinander, in der der BGH recht unkritisch Kölner Schadensbezifferungen bzw. -Schätzungen i. H. v. 200,00 € übernommen und akzeptiert hat.
Noch mehr als das Ergebnis ("2,04 €") bringen die vom Gericht fundiert aufgezeigten (Auf-)Lösungswege eine realistische Verteidigung gegen unberechtigte Filesharing-Abmahnungen und überhöhte Geld-Forderungen weiter.
Am Ende des Urteils heißt es zu Recht:
„Das Gericht verkennt schließlich nicht, dass seine vorstehenden Ausführungen, wenn ihnen andere Gerichte folgen würden, das Abmahnwesen im Bereich des Urheberrechts weniger lukrativ machen und schließlich die effektive Verfolgung von Urheberrechtsverstößen in Tauschbörsen beeinträchtigen mögen. Hieraus kann jedoch nicht folgen, dass tatsächlich nicht entstandene – pönale – Schäden liquidiert werden und das Fehlen der unter Richtern wenig verbreiteten technischen Kenntnisse als Vehikel hierfür genutzt wird.“
Lesen!

Freitag, 18. September 2015

Markenrecht in Gummi und Goldfolie: Freiheit für die Goldbären

Darf 'ne Gummi-Marke per  ein Schoko-Design verbieten?
Am 23.09.2015 wird der Erste Zivilsenat des Bundesgerichtshofes sein Urteil über den schokoladigen „Goldbären“ fällen (Az. I ZR 105/15). Abmahnerin und Klägerin ist die Fruchtgummi-Produzentin Haribo, die u.a. die sogenannten “Gummibärchen“ in goldfarbenen Verpackungen unter der Bezeichnung “GOLDBÄREN“ vermarktet. Haribo ist Inhaberin der Wortmarken “GOLDBÄREN“, “Goldbär“, und “Gold-Teddy“ sowie der Farbmarke “Gold“. Beklagte ist die Firma Lindt, die den sogenannten „Lindt Teddy“ vertreibt, eine in Goldfolie eingewickelte Schokoladenfigur in der Form eines Bären.

Die Richter des LG Köln hatten mit Urteil vom 18.12.2012(Az. 33 O 803/11) noch den Gummibärchen aus Bonn Recht gegeben: Die bärige und goldfolierte Schokolade beeinträchtigte in unlauterer Weise die Unterscheidungskraft der bekannten Marke “GOLDBÄREN“.
Der Berufungssenat des OLG Köln hatte dann stattdessen am11.04.2014 (Az. 6 U 230/12) die Klage gegen den Schweizer Schokoladen-Bären abgewiesen:  Allein Farbe und Form des goldigen Lindt-Schokobären riefen beim Verbraucher keine „ungezwungene gedankliche Verknüpfung“ zu der bekannten Marke “GOLDBÄREN“ hervor. Zudem stelle die Bezeichnung “GOLDBÄR“ für die Verbraucher auch keine naheliegende Bezeichnung für den Schokobären dar. Das Publikum werde durch die auf der Umverpackung verwendeten Wortbestandteile “Lindt“ bzw. “Lindt-Teddy“ – auch vor dem Hintergrund der Produktnähe zum sogenannten “Goldhasen“ - vielmehr gerade auf das beklagte Unternehmen „Lindt“ hingewiesen und nicht auf die Gummibärchen von Haribo, die auch keine ausreichende Ähnlichkeit mit den Schokobären aufwiesen; insofern scheide auch eine Verwechslungsgefahr aus.
Die Firma Haribo meint immer noch, die Gestaltung des “Lindt Teddys“ stelle die dreidimensionale bildliche Darstellung der berühmten, bei 95 Prozent der Verbraucher bekannten Wortmarke “GOLDBÄR“ dar und verletzte bereits deshalb ihre Markenrechte, aber auch wettbewerbsrechtliche Nachahmungsverbote hinsichtlich ihrer “Goldbärenfigur“ sowie der “Goldbärenproduktform“. Die Gummibärchen verlangen mit ihrer Revision insofern von dem Schokoladenhersteller weiterhin Unterlassung, Auskunft, Schadensersatz und die Vernichtung der putzigen Schokobären.
Die Schokoladenfabrikanten aus der Schweiz wehren sich mit der Argumentation, die Schoko-Figur des „Teddy“ stelle lediglich eine Fortentwicklung ihrer seit längerer Zeit entwickelten Produktlinie dar, zu der z. B. auch der “Lindt Goldhase“ gehöre. Außerdem sei die Teddybärenfigur eine im Süßwarenbereich öfter verwendete Form.
Der Vorsitzende des Karlsruher BGH-Senats fand in der mündlichen Verhandlung vom 25.06.2015 zwar beide Naschbären „süß“, ließ aber Bedenken erkennen, ob Haribo tatsächlich im Süßwaren-Regal für sich alle möglichen goldenen Bären monopolisieren darf.
Das wäre auch aus meiner Sicht einerseits schade und andererseits weder durch das Markenrecht, noch durch das Wettbewerbsrecht zu rechtfertigen. Deshalb: Freiheit für die goldigen Schokoladen-Bärchen. Die Goldfolie will ja niemand essen.

Update: Der BGH hat am 23.09.2015 die von mir prognostizierte und favorisierte Entscheidung gegen eine Monopolisierung des "Goldbären" per Marke getroffen und hierzu diese Pressemitteilung herausgegeben. Gut so.

 

Montag, 7. September 2015

Geniales Filesharing-Urteil zu Datenmüll und Datenschutz, Beweislast und Beweisverwertungsverbot

 
 
Der Kollege Loebisch lobt in seinem heutigen, sehr lesenswerten Posting zu Recht die technisch versierten und datenschutzrechtlich sattelfesten Richterinnen und Richter der 6. Zivilkammer des LG Frankenthal, „für die technische und datenschutzrechtliche Erwägungen keine unnötige Verkomplizierung sind, dem Beschleunigungsgrundsatz des Zivilprozessrechts zuwiderlaufend, sondern Basis jeder Rechtsprechung mit Online-Bezug“.
Und in jeder Hinsicht zustimmen kann ich dem versierten Kollegen auch darin:
„Zu lange profitierte die Abmahnindustrie nicht zuletzt von einem technischen Wissensgefälle zwischen ihr und den Gerichten. Mit Erwägungen aus dem Datenschutzrecht lässt sich manche vorschnelle und all zu routiniert herausgejagte Filesharing-Abmahnung zu Fall bringen.“ So ist es.
Und so sieht das lobenswerte Urteil - zumindest in "Dateifragmenten" - aus:
Das Filesharing-Urteil des LG Frankenthal/Pfalz vom 11. August 2015 (Az. 6 O 55/15) befasst sich instruktiv mit einem Beweisverwertungsverbot bei Reseller-Verträgen und mit der Beweislastverteilung bei recherchierten Dateifragmenten – mit sehr kenntnisreichen und konsequenten Erwägungen und daraus abgeleiteter Klageabweisung.
1. Wenn der abgemahnte Internetanschlussinhaber einen Internet-Vertrag mit einem Reseller - wie z. B. 1&1 – abgeschlossen hat, macht der Abmahner seinen Auskunftsanspruch nach § 101 UrhG aber demgegenüber nur gegen den Netzbetreiber (z. B. die Deutsche Telekom) geltend, dann gilt hinsichtlich der ermittelten Auskunftsdaten ein Beweisverwertungsverbot:
„Soweit Netzbetreiber und Endkundenanbieter nicht identisch sind …, ist am Auskunftsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG der allein als Vertragspartner des Anschlussinhabers in Erscheinung tretende Accessprovider (‚Reseller‘) zu beteiligen; ohne ein solches Verfahren erlangte Daten unterliegen nach ständiger Rechtsprechung der Kammer in einem späteren Verfahren gegen den Anschlussinhaber regelmäßig einem Beweisverwertungsverbot (…). Im Übrigen entscheidet bei Auseinanderfallen des Sitzes von Netzbetreiber und Endkundenanbieter in verschiedene Gerichtsbezirke … aufgrund der in § 101 Abs. 9 Satz 2 UrhG geregelten ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit nur so der gesetzliche Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.“
Das Landgericht sieht das Grundrecht des abgemahnten und verklagten Anschlussinhabers auf Wahrung des Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 GG berührt.
2. Zur Darlegungslast des Abmahners und Klägers hinsichtlich der Frage, ob über den fraglichen Internetanschluss tatsächlich eine vollständige und lauffähige Werk-Version zum Download angeboten wurde oder ob es sich lediglich um eine unvollständige Datei und damit etwaigen „Datenmüll“ handelte, führt die 6. Zivilkammer des Pfälzer Landgerichts aus:
„Da das Urheberrecht den Urheber vor der unberechtigten Nutzung seines Werkes schützt (§ 11 UrhG), hat der Anspruchsteller in sog. „Filesharing“-Fällen grundsätzlich substantiiert darzulegen, dass über den Anschluss des in Anspruch Genommenen tatsächlich eine vollständige und lauffähige, das fragliche Werk beinhaltende Datei zum Download bereitgestellt worden ist. Eine nur teilweise zur Verfügung gestellte Datei ist im Hinblick auf die darin enthaltenen Daten nämlich regelmäßig nicht lauffähig und konsumierbar, weshalb das Zurverfügungstellen einer derartigen Teildatei keine – auch nur teilweise – Nutzung des geschützten Werkes darstellt; es handelt sich in diesem Fall demnach nicht um isoliert nutz- oder wahrnehmbare Werkteile, sondern lediglich um sog. „Datenmüll“ (ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. zuletzt Urteil vom 30.09.2014 – 6 O 518/13 (…). Dies unterscheidet „Filesharing“-Fälle wie den vorliegenden grundlegend u.a. von Fällen, in denen kleine oder auch nur kleinste Teile eines Werkes durch einen Dritten unberechtigter Weise genutzt werden (…).“
3. Zur Beweislastverteilung, wenn es sich lediglich um Dateifragmente handelt, heißt es in dem aktuellen Urteil:
„Kann dagegen nicht nachgewiesen werden, dass die beklagte Partei eine vollständige und lauffähige, das fragliche Werk (oder Teile davon) enthaltende Datei zum Herunterladen zur Verfügung gestellt hat oder war dies unstreitig nicht der Fall, hat der Anspruchsteller darzulegen und im Bestreitensfall nachzuweisen, dass die vom in Anspruch Genommenen konkret zum Download bereit gestellten Dateifragmente tatsächlich zumindest auch Werkfragmente enthalten, die sich mit Hilfe gängiger oder zumindest allgemein zugänglicher Hard- und Software wiedergeben bzw. in sonstiger Weise sinnvoll im Sinne des § 11 UrhG nutzen lassen und damit mehr darstellen als bloßen „Datenmüll“. Erst wenn dieser Beweis erfolgreich geführt werden kann, wäre im Hinblick auf die Höhe etwaiger Schadensersatzansprüche weiter zu prüfen, in welchem konkreten Umfang Werkfragmente genutzt worden sind.“

Diese Urteil sollte wirklich weit davon entfernt sein, als "Datenmüll" abgelegt zu werden, findet sich hier doch mal ein geniales Beispiel dafür, das technischer Sachverstand, datenschutzrechtliche Sensibilität und urheberrechtliches Know-how sich nicht ausschließen müssen - auch nicht an deutschen Gerichten.  

Freitag, 28. August 2015

BGH-Filesharing-Verfahren zu Vermutung und Zumutung


Karlsruhe liefert bald mehr Klarheit für Adressaten urheberrechtlicher Abmahnung

Endlich:
 
Der BGH wird sich absehbar näher befassen mit der die Internetanschlussinhaber belastenden sogenannten „tatsächlichen Vermutung“ bei Filesharing-Abmahnungen bzw. -Klagen. Dabei wird es auch darum gehen, welche Anforderungen bzw. „Zumutungen“ wirklich an die Internetanschlussinhaber gerichtet werden dürfen, um sich erfolgreich gegen Filesharing-Vorwürfe wehren zu können - insbesondere bei familiären Internetanschlüssen. Wie weit gehen die in der Familie zumutbaren Nachforschungspflichten?
 
Anlass der zu erwartenden Klärungen sind die eine Filesharing-Klage der von den Rechtsanwälten Waldorf Frommer vertretenen Constantin Film Verleih GmbH zu Recht abweisenden Urteile des AG Braunschweig vom 27.08.2014 (Az. 117 C 1049/14) sowie des LG Braunschweig vom 01.07.2015(Az. 9 S 433/14).
Die dortige Berufungskammer (9. Zivilkammer) erkannte die grundsätzliche Bedeutung der aktuellen Streitfragen. Im die Revision zum Bundesgerichtshof zulassenden Urteil heißt es u.a.:
„Die Revision war nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache sowohl grundsätzliche Bedeutung hat als auch dies zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich erscheint. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. nur BGH NJW 2003, 2319). Dies ist hier der Fall. Bei nahezu allen für Urheberrecht zuständigen deutschen Gerichten sind vergleichbare Verfahren wegen der Erstattung von Abmahnkosten wegen behaupteter Urheberrechtsverletzungen durch das sogenannte „Filesharing“ anhängig, bei denen es jeweils erheblich auf die Fragen ankommt, (i) wie eine etwaige tatsächliche Vermutung „erschüttert“ werden kann bzw. unter welchen Voraussetzungen eine solche nicht eingreift (durch Beweis anderer Anschlussmitbenutzer durch den Beklagten / durch bloßes Behaupten von Anschlussmitbenutzern / durch substantiierte Darlegung anderer Mitbenutzer), und (ii) wie weit die sekundäre Darlegungslast der Beklagten und die in diesem Rahmen bestehende Nachforschungsplicht reicht. Da hierzu auch nach Veröffentlichung der Bearshare-Entscheidung des Bundesgerichtshofs von den Instanzgerichten verschiedene Auffassungen vertreten werden (siehe oben), ist die Zulassung der Revision auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.“
Das Revisionsverfahren vor dem I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe ist dort zum Az. I ZR 154/15 anhängig.
Das Verfahren wird voraussichtlich nicht alle derzeit zu Filesharing-Abmahnungen noch rechtlich umstrittenen Gesichtspunkte klären, kann aber für große Teile der Abmahnungsprosa ein zumutbares Ende erreichen.
 

Dienstag, 25. August 2015

Filesharing-Urteil des LG München I: Verwunderungen aus dem Rahmen des (Un)Zumutbaren

Urheberrecht: In München wundern sich Gerichte - und Internetanschlussinhaber
Das kann nicht wahr (und nicht rechtens) sein: Das Landgericht München I zeigt sich verwundert über den detaillierten Sachvortrag eines Internetanschlussinhabers fast fünf Jahre nach einer Filesharing-Abmahnung, verlangt aber gleichzeitig einen noch viel detaillierten Verteidigungsvortrag.

Fragwürdige schriftliche Niederlegung hat diese prekäre Widersprüchlichkeit gefunden im Urteil der 21.Zivilkammer des Landgerichts München I vom 08.07.2015 (Az. 21 S 19026/14).

Darin werden vorausgegangene BGH-Entscheidungen zwar korrekt zitiert; die daraus von den Münchner Richtern abgeleiteten Argumentationsstränge verlieren allerdings erkennbar den Faden nach Karlsruhe.

In den Entscheidungsgründen aus Bayern heißt es u. a. zu Recht:

„Nicht verhehlen kann die Kammer ihre Verwunderung darüber, dass der Beklagte – gleichsam aus dem Nichts – nach knapp fünf Jahren detailliert rekonstruieren kann, wann er welche Maßnahmen im Nachgang zur Abmahnung vom xxxxxxxxxx  vorgenommen hat.“

Dennoch meint das Berufungsgericht, dass „der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast nicht“ genügt.

Ein Schelm, wer da nicht den in den landgerichtlichen Entscheidungsgründen selbst zitierten, von der einschlägigen BGH-Rechtsprechung aufgestellten „Rahmen des Zumutbaren“ für gesprengt erachtet.

Das Landgericht München I erwartete insbesondere noch detailliertere Angaben des Beklagten „zu seinen einzelnen Nachforschungen“ innerhalb der Familie, dazu, „welche konkreten Maßnahmen er unternommen hat, um relevante Informationen zu erhalten“, sowie alle möglichen Details zu Fragen der Auffindung, der Speicherung, der Entnahme und/oder der Inhalte eines etwaigen Routerprotokolls.

Wenn man dieses Urteil liest, wird man das Gefühl nicht los, dass versucht wird, die Anforderungen an die sekundären Darlegungen zur Nutzung des familiären Internetanschlusses und die Anforderungen an etwaige Nachforschungen (zumal innerhalb des eigenen Haus­halts bzw. innerhalb der eigenen Familie) in gleicher Weise zu überspannen, wie die frühere und zwischenzeitlich vom BGH und vom Bundesverfas­sungs­gericht korrigierte Kölner Rechtsprechung dies hinsichtlich ihrer übertriebenen (und mittlerweile überholten) Anforderungen zur Familien-Überwachung und -Belehrung getan hat.

Mit derart ausufernden und praktisch nie erfüllbaren richterlichen Ansprüchen an interfamiliäre Ermittlungen, technischen Sachverstand und archivarisches Erinnerungsvermögen der Internetanschlussinhaber wird die aktuelle "Münchner Linie" allerdings m. E. in Karlsruhe ebenso wenig durchkommen wie die früheren Überforderungstendenzen des LG und des OLG Köln.

Entgegenstehende realistischere und auch urheberrechtlich und verfassungsrechtlich angemessenere Entscheidungen beispielsweise aus Bielefeld müssen demgegenüber nicht verwundern; sie zeigen vielmehr den richtigen Weg auf - im Rahmen des Zumutbaren.


Donnerstag, 20. August 2015

AG Bielefeld stoppt Filesharing-Abmahnung

... Mit 12 Argumenten auf einen Schlag

++++ Verliebt. Verlobt. Verklagt. Und nicht verurteilt. ++++

Filesharing-Klagen kommen beim Amtgericht Bielefeld kaum durch.

Auch ohne Trauschein muss man nach urheberrechtlichen Tauschbörsen-Abmahnungen keine Ermittlungen gegen den Partner oder die Partnerin aufnehmen. Und die Frage nach ausreichender Belehrung der den häuslichen Internetanschluss nutzenden minderjährigen Kinder stellt sich prozessual gar nicht, wenn es weitere potentielle Nutzer des Internetanschlusses gibt.

Dies und 10 weitere Gesichtspunkte hat das Bielefelder Amtsgericht nun in einem besonders klar, plausibel und umfassend begründeten Urteil vom 08.07.2015 (Az. 42 C 708/14) gebündelt. 

Mit dem für unsere Mandantin errungenem Urteil hat das Gericht zahlreichen angeblichen Argumenten aus derzeit wieder grassierenden Filesharing-Abmahnungen einen Riegel vorgeschoben. 
 
Das überzeugend begründete und nachvollziehbar strukturierte Urteil lässt sich auch nicht von dem gegenwärtigen unangebrachten Hype um die vier Wochen vor Urteilsverkündung verhandelten und entschiedenen drei BGH-Verfahren (noch nicht veröffentlichte Urteile des BGH vom 11.06.2015 zu den Az. I ZR 7/14, I ZR 19/14 und I ZR 75/14) in die Irre leiten. In der gegenwärtigen Abmahnungspraxis werden die absehbaren Entscheidungsfindungen der Karlsruher Richter in den vorerwähnten drei BGH-Verfahren nämlich zumeist fehlinterpretiert bzw. überinterpretiert.

Im Einklang mit derzeit seriös ableitbarer BGH-Rechtsprechung bleibt vor dem Hintergrund der einleuchtenden Urteilsfindung des Amtsgerichts Bielefeld vom 08.07.2015 insbesondere Folgendes festzuhalten:
 
1.    „Wird über einen Internetanschluss eine Rechtsverletzung begangen, ist eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers nicht begründet, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung (auch) andere Personen diesen Anschluss benutzen konnten.“

2.    „Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Internetanschluss zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung nicht hinreichend gesichert war oder … bewusst anderen Personen zur Benutzung überlassen wurde.“

3.    „Den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei trifft in der Regel eine sekundäre Darlegungslast. Diese führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen.“

4.    „Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, auch andere Personen und ggf. welche anderen Personen selbstständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen.“

5.    Nur in „diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet (BGH NJW 2014, 2360 „Bearshare“).“

6.    „Hinsichtlich einer etwaigen Aufsichtspflichtsverletzung kann eine Kausalität zum etwaigen Schaden nicht bejaht werden, wenn nicht feststeht, dass die Person, über die Aufsicht zu führen ist, eine Verletzungshandlung überhaupt begangen hat.“

7.    Der Beklagtenseite ist es „nicht zumutbar, den Täter im von Art. 6 GG geschützten Bereich zu ermitteln.“

8.    „Die Intention, den Familienfrieden zu wahren und niemanden zu verpflichten, den Partner auszuforschen und ihn einer illegalen Handlung zu überführen, muss auch für Verlobte gelten. Diese Intention ergibt sich auch aus § 383 Abs. 1 NR 1 ZPO, welcher auch dem Verlobten ein Zeugnisverweigerungsrecht einräumt.“

9.    „Der BGH hat zwar entschieden, dass der Inhaber eines ungesicherten WLAN Anschlusses als Störer auf Unterlassung haftet, wenn außenstehende Dritte diesen Anschluss missbräuchlich nutzen, um urheberrechtlich geschützte Musiktitel in Internet-Tauschbörsen einzustellen (BGH NJW 2010, 2061 „Sommer unseres Lebens“). Diese Entscheidung ist aber nicht auf die … Fallgestaltung übertragbar, bei der der Anschlussinhaber seinen Internetanschluss einem Familienangehörigen zur Verfügung stellt (BGH NJW 2014, 2360; ebenso LG Bielefeld Beschluss vom 22. Juli 2014, 21 S 76/14).“

10.  „Die dreijährige Verjährungsfrist gilt auch für den Schadensersatzanspruch.“

11.  Ein Mahnbescheid, der verjährungshemmende Wirkung haben soll, muss den geltend gemachten Anspruch, und soweit es um mehrere Ansprüche geht, jeden einzelnen Anspruch ausreichend genau und individualisiert bezeichnen. Eine Bezugnahme auf ein vorausgegangenes Abmahnungsschreiben setzt eine sich entsprechende, nachvollziehbare einzelne und individualisierte Bezifferung der konkreten Forderungsbeträge verbunden mit dem vermeintlichen Anspruchsgrund voraus. Eine Individualisierung der Ansprüche erst in der Anspruchsbegründung bzw. der Klagebegründung nach bereits eingetretener Verjährung lässt die Verjährung nicht entfallen.“

12.  Auch ein auf die Erstattung außergerichtlicher anwaltlicher Abmahnungskosten gerichteter Anspruch verjährt in der dreijährigen Regelverjährungsfrist des § 195 BGB.