Freitag, 18. April 2014

Aus: Filesharing-Vermutung vermutlich immer öfter zum Scheitern verurteilt


Einem pauschalen Filesharing-Verdacht gegen Internetanschlussinhaber bei Familien- oder WG-Anschluss hat auch das Amtsgericht Hannover eine klare Absage erteilt. Mit ganz aktuellem Urteil vom 02.04.2014 (Az. 539 C 827/14) wurde nach Abmahnung und Mahnverfahren nun auch eine urheberrechtliche Klage der Savoy Film GmbH wegen angeblichem Filmwerk-Upload abgewiesen.

Das Gericht verlangte von der beklagten Ehefrau und Mutter keine detaillierteren Angaben oder Mutmaßungen und schon gar keine Prüf-, Kontroll- oder Recherche-Pflichten hinsichtlich Ehepartner und Kindern.

Nach der lebensnahen und praxisnahen Bewertung der Richterin
"wird es regelmäßig genügen, wenn Hausgenossen des Anschlussinhabers, wie z.B. sein Ehegatte, selbständig auf den Internetanschluss zugreifen können",
um sich als Inhaber eines Internetanschlusses gegen eine (in derartigen Fällen m. E. ohnehin fragwürdige) tatsächliche Täter-Vermutung erfolgreich zu verteidigen.

Damit setzt sich die erfreuliche Rechtsprechungstendenz fort, die u.a. auch das von mir kommentierte Urteil des AG Bielefeld vom 06.03.2014 (Az. 42 C 368/13), sehr unmissverständlich aufgezeigt hat.

Das Amtsgericht Hannover hatte sich übrigens bereits in einem früheren Urteil aus dem vergangenen Jahr (Az. 539 C 11215/12) dem ausufernden Generalverdacht gegen die Inhaber von Internetanschlüssen und übertriebenen Exkulpierungsanforderungen entgegengestellt.

Die im aktuellen Fall (aus dem Jahre 2009 mit Abmahnung aus 2010 und Vollstreckungsbescheid des AG Euskirchen aus 2013) von den Rechtsanwälten Schulenberg & Schenk aus Hamburg vertretene Klägerin kann noch Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil beim Landgericht Hannover einlegen. Es spricht aus meiner Sicht immer mehr für die begründete Vermutung, dass die oft haltlose "tatsächliche Vermutung" gegen den Inhaber eines von mehreren Personen genutzten häuslichen bzw. familiären Internetanschlusses vermutlich bald bei vielen Filesharing-Abmahnungen und -Klagen vor dem Aus steht.

Mittwoch, 2. April 2014

Neues Filesharing-Urteil zu lebensfremdem Verdacht und ausreichender Verteidigung

Wirklich erhellende und brillante sowie lebensnahe Bewertungungen und Einordnungen zum Filesharing-Verdacht bei familiär genutztem häuslichen Internetanschluss kann man im aktuellen Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 06.03.2014, Az. 42 C 368/13, lesen.

Zu Recht stellt das Gericht die tatsächliche Vermutung einer Täterschaft des beklagten Internetanschlussinhabers bei familiär genutztem Internetanschluss in Frage. Der Richter übt einleuchtende Kritik an der fehlenden Berücksichtigung gesellschaftlicher Realitäten und darauf fußender sachgerechter Lebenserfahrung. Übersteigerte, fälschlicherweise eine Gefährdungshaftung für Internetanschlüsse kreierende Anforderungen an die sogenannte sekundäre Darlegungslast des Abgemahnten werden angemessen korrigiert.

In den Entscheidungsgründen des Amtsgerichts heißt es dazu (Fettdruck durch den Blogger):

"Eine tatsächliche Vermutung besagt lediglich, dass auch Tatsachen, für die der sog. Beweis des ersten Anscheins spricht, d. h. auf deren Vorliegen aus unstreitigen oder bewiesenen Tatsachen aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung zu schließen sind, vorliegen. Gleichwohl ist von der Klägerin die entsprechende Tatsachenbehauptung, auf deren Vorliegen aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung zu schließen ist, vorzutragen. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil v. 12.05.2010, I ZR 121/08, Sommer unseres Lebens) soll eine tatsächliche Vermutung dafür bestehen, dass dann, wenn ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht wird, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Daraus ergibt sich eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers, der geltend macht, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen (BGH NJW 2010, 2061). Die Annahme einer derartigen tatsächlichen Vermutung begegnet in Haushalten, in denen mehrere Personen selbständig und unabhängig Zugang zum Internet haben, bereits grundsätzlichen Bedenken. Die Aufstellung einer tatsächlichen Vermutung setzt voraus, dass es einen empirisch gesicherten Erfahrungssatz aufgrund allgemeiner Lebensumstände dahingehend gibt, dass ein Anschlussinhaber seinen Internetzugang in erster Linie nutzt und über Art und Weise der Nutzung bestimmt und diese mit Tatherrschaft bewusst kontrolliert. Ein derartiger Erfahrungssatz existiert nicht. Die alltägliche Erfahrung in einer Gesellschaft, in der das Internet einen immer größeren Anteil einnimmt und nicht mehr wegzudenken ist, belegt vielmehr das Gegenteil. Wenn sich der Internetanschluss in einem Mehrpersonenhaushalt befindet, entspricht es vielmehr üblicher Lebenserfahrung, dass jeder Mitbewohner das Internet selbständig nutzen darf, ohne dass der Anschlussinhaber Art und Umfang der Nutzung bewusst kontrolliert (AG Düsseldorf, Urteil v. 19.11.2013, 57 C 3144/13). Der Anschlussinhaber genügt daher in diesen Fällen seiner sekundären Darlegungslast, wenn er seine Täterschaft bestreitet und darlegt, dass eine Hausgenossen selbständig auf den Internetanschluss zugreifen können, weil sich daraus bereits die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs als die seiner Alleintäterschaft ergibt (OLG Hamm, Beschluss v. 27.10.2011, I - 22 W 82/11; OLG Hamm, Beschluss v. 04.11.2013, I – 22 W 60/13; OLG Köln NJW-RR 2012, 1327; AG Hamburg, Urteil v. 30.10.2013, 31 C 20/13; AG München, Urteil v. 31.10.2013, 155 C 9298/13). Weitergehende Angaben werden in einem Mehrpersonenhaushalt vom Anschlussinhaber nicht im Rahmen der sekundären Darlegungslast verlangt werden können, da der Anschlussinhaber ohnehin nur zu Tatsachen vortragen kann, die er üblicherweise kraft Sachnähe vortragen kann. Eigene Ermittlungen dahingehend, wer möglicherweise als Täter des behaupteten Urheberrechtsverstoßes in Betracht kommt, hat der Anschlussinhaber aber nicht durchzuführen. Auch eine Überwachung der Familie bei der Internetnutzung kann vom Anschlussinhaber nicht verlangt werden, da dies mit dem grundrechtlichen Schutz der Familie nach Artikel 6 Grundgesetz nicht zu vereinbaren ist. Bei einem 1-Personenhaushalt hingegen wird man regelmäßig detailliertere Erläuterungen erwarten können. Insoweit reicht es nach Auffassung des Landgerichts Düsseldorf (Urteil v. 21.03.2012, 12 O 579/10) unter Berücksichtigung der dem Beklagten obliegenden prozessualen Wahrheitspflicht aus, dass der Anschlussinhaber vorträgt, weder die streitgegenständliche Datei noch eine entsprechende Filesharingsoftware befinde sich auf seinem Rechner, da für diesen Fall eine täterschaftliche Handlung bei Wahrunterstellung ausgeschlossen ist. Sowohl bei Mehrpersonen- als auch bei einem 1-Personenhaushalt ist mit der sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers keine Beweislastumkehr verbunden. Die sekundäre Darlegungslast umfasst nicht die Pflicht des Behauptenden, diesen Sachverhalt ggfs. auch zu beweisen. Ein der sekundären Darlegungslast genügender Vortrag hat vielmehr zur Folge, dass der grundsätzlich Beweisbelastete seine Behauptungen beweisen muss. Hierin ist keine unzumutbare Belastung des Anspruchstellers zu sehen. Es gehört vielmehr zu den rechtsstaatlichen Grundsätzen des Zivilprozesses, dass der Kläger die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenen Voraussetzungen trägt. Abweichungen sind nur im Einzelfall veranlasst und dürfen nicht dazu führen, dass der Beklagte sich regelmäßig zu entlasten hat (AG Düsseldorf, Urteil v. 19.11.2013, 57 C 3144/13). Eine anderslautende Rechtsprechung führt quasi zu einer Gefährdungshaftung, indem dem Anschlussinhaber eine den Grundlagen des Zivilprozesses widersprechende praktisch nicht erfüllbare sekundäre Darlegungslast auferlegt wird. Darüber hinaus gibt es in zahlreichen Bereichen des täglichen Lebens Sachverhaltskonstellationen, in denen der Anspruchsteller sicher weiß, dass sich der Anspruch gegen eine von mehreren Personen richtet, der Anspruchinhaber aber nicht nachweisen kann, gegen welche konkrete Person der Anspruch zu richten ist. Auch in diesen Fällen wird im Ergebnis eine erfolgversprechende Durchsetzung des Anspruches nicht möglich sein."
(Urteil Amtsgericht Bielefeld vom 06.03.2014, Az. 42 C 368/13)
Die berechtigte Verteidigung gegen Filesharing-Abmahnungen und -Klagen sowie gegen übermotivierten Verdacht erfährt damit realistischere Erfolgsaussichten auf der Basis lebensnaher Beurteilung.