Freitag, 24. Mai 2013

Gestörte Störerhaftung und BGH-Thesen im Urteil zu Google-„Autocomplete“

    Mit Updates vom

    26.05.2013 und 08.04.2014 und 11.04.2014


  • Haftet Google für Kombinationen mit Suchwortergänzungen? 
  • Welchen Sinngehalt haben die generierten begrifflichen Kombinationen? 
  • Und wie weit geht die Störerhaftung?
1. Nimmt ein Betroffener den Betreiber einer Internet Suchmaschine mit Suchwortergänzungsfunktion auf Unterlassung der Ergänzung persönlichkeitsrechtsverletzender Begriffe bei Eingabe des Namens des Betroffenen in Anspruch, setzt die Haftung des Betreibers die Verletzung zumutbarer Prüfpflichten voraus.
2. Der Betreiber ist grundsätzlich erst verantwortlich, wenn er Kenntnis von der rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts erlangt.
3. Weist ein Betroffener den Betreiber auf eine rechtswidrige Verletzung seines Persönlichkeitsrechts hin, ist der Betreiber verpflichtet, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern.

Auf die Revision der Kläger wurde das Berufungsurteil des 15. Zivilsenats des OLG Köln vom 10.05.2012 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

 

Sachverhalt:

Gegen Google machen eine Aktiengesellschaft, die im Internet über ein "Network-Marketing-System" Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetika vertreibt, sowie deren Gründer und Vorstandsvorsitzender Unterlassungs- und Geldentschädigungsansprüche und ferner den Ersatz außergerichtlicher Abmahnungskosten geltend wegen als rechtsverletzend gerügter „predictions“ im Rahmen der "Autocomplete"-Funktion.

Die auftauchenden Suchvorschläge werden durch eine von Google entwickelte und eingesetzte Software auf der Basis eines Algorithmus ermittelt, der u.a. die Anzahl der von anderen Nutzern eingegebenen Suchanfragen einbezieht.

Bei Eingabe des klägerischen Namens erschienen im Wege der "Autocomplete"-Funktion per sich öffnendem Fenster als Kombinations-Vorschläge die Worte "Scientology" und "Betrug". Dadurch sehen sich die Kläger in ihrem Persönlichkeitsrecht und in ihrem geschäftlichen Ansehen verletzt, da der Vorstandsvorsitzende weder in irgendeinem Zusammenhang mit Scientology stehe, noch sei ihm ein Betrug vorzuwerfen oder je ein entsprechendes Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden. Zudem sei in keinem einzigen Suchergebnis eine Verbindung zwischen dem Kläger und "Scientology" bzw. "Betrug" ersichtlich.

Die Kläger haben zunächst im Beschlusswege eine einstweilige Verfügung vom 12. Mai 2010 erwirkt, durch die Google verboten wurde, nach Eingabe des Namens des Klägers als Suchbegriff im Rahmen der "Autocomplete"-Funktion die ergänzenden Kombinationsbegriffe "Scientology" und "Betrug" vorzuschlagen.

 

Nach Abmahnung und zunächst ergangener einstweiliger Verfügung haben sowohl die 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln als auch das OLG Köln die Klage abgewiesen, weil den automatisierten Suchergänzungsvorschlägen in der Suchmaschine kein eigener Aussagegehalt beizumessen sei. Aus Sicht eines durchschnittlichen Nutzers lasse sich der Anzeige der Ergänzungssuchbegriffe lediglich die eigene Aussage der Suchmaschine entnehmen, dass mehrere vorherige Nutzer die gewählten Begriffskombinationen zur Recherche eingegeben hätten oder dass sich die Ergänzungssuchbegriffe in verlinkten Drittinhalten jeweils als solche auffinden ließen. Diese Aussage sei wahr und daher von den Klägern hinzunehmen.. Das OLG hat die Revision zugelassen.

 

Zur Urteilsbegründung:

 
Nach Einschätzung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes reichen demgegenüber die bisher in den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen (noch?) nicht aus, die Klage gegen Google abzuweisen.

Nach Auffassung der Karlsruher Richter beinhalten die dem klägerischen Namen zugewiesenen Suchwortergänzungsvorschläge "Scientology" und "Betrug" doch einen verletzenden Aussagegehalt und damit eine Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte der Kläger.

Der mit dem Begriff "Scientology" in Verbindung mit dem Namen einer real existierenden Person zum Ausdruck gebrachte Sinngehalt ließe sich „hinreichend dahin spezifizieren“, dass zwischen dieser Sekte und der namentlich erwähnten Person „eine Verbindung besteht“, die auch geeignet sei, „eine aus sich heraus aussagekräftige Vorstellung hervorzurufen“. Aber welche von etlichen denkbaren "Verbindungen"? Welche konkrete "aussagekräftige" Vorstellung?


Mit der Verwendung des Begriffes „Betrug“ verbinde der Durchschnittsleser „zumindest ein sittlich vorwerfbares Übervorteilen eines anderen“ und verleihe ihm damit „einen hinreichend konkreten Aussagegehalt“.

Der BGH widerspricht der Auffassung der Vorinstanzen, dass man den von der Suchmaschine der Beklagten angezeigten Ergänzungssuchvorschlägen lediglich die Aussage entnehmen könne, dass vorherige Nutzer die gewählten Begriffskombinationen zur Recherche eingegeben haben oder dass sich die Ergänzungssuchbegriffe in verlinkten Drittinhalten auffinden lassen. Die mit Google nach Informationen suchenden Internetnutzer erwarteten von den ihnen nach der Eingabe des Suchbegriffs angezeigten ergänzenden Suchvorschlägen eben doch „einen inhaltlichen Bezug zu dem von ihm verwandten Suchbegriff“, würden ihn zumindest für möglich halten. Hierzu heißt es im Urteil:

 
„Aus dem "Ozean von Daten" werden dem suchenden Internetnutzer von der Suchmaschine der Beklagten nicht x-beliebige ergänzende Suchvorschläge präsentiert, die nur zufällig "Treffer" liefern. Die Suchmaschine ist, um für Internetnutzer möglichst attraktiv zu sein - und damit den gewerblichen Kunden der Beklagten ein möglichst großes Publikum zu eröffnen - auf inhaltlich weiterführende ergänzende Suchvorschläge angelegt. Das algorithmusgesteuerte Suchprogramm bezieht die schon gestellten Suchanfragen ein und präsentiert dem Internetnutzer als Ergänzungsvorschläge die Wortkombinationen, die zu dem fraglichen Suchbegriff am häufigsten eingegeben worden waren. Das geschieht in der - in der Praxis oft bestätigten - Erwartung, dass die mit dem Suchbegriff bereits verwandten Wortkombinationen - je häufiger desto eher - dem aktuell suchenden Internetnutzer hilfreich sein können, weil die zum Suchbegriff ergänzend angezeigten Wortkombinationen inhaltliche Bezüge widerspiegeln.“

Die vom BGH gewählte Figur „inhaltlicher Bezüge“ ist abstrakt und substanzlos und eine daran festgemachte vermeintliche Nutzer-Erwartung bereits deshalb m.E. sehr fragwürdig. Umso fragwürdiger aber erscheint mir die These, den streitgegenständlichen Wort-Komplettierungen sei die Aussage zu entnehmen, zwischen dem Kläger und den Begriffen "Scientology" und/oder "Betrug" bestehe ein sachlicher Zusammenhang. Selbst wenn man dem folgen wollte, fragt sich doch, welcher Art diese Verbindung denn sein soll, beispielsweise als Täter oder als Opfer oder etwa nur als Berichterstatter?

Die vom BGH dennoch ohne diesbezügliche Differenzierung und Problematisierung bejahte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Kläger will das Gericht der Betreiberin der Suchmaschine auch unmittelbar zurechnen. Google habe per selbst geschaffenem Computerprogramm das Nutzerverhalten ausgewertet und sodann den Nutzern die entsprechenden Vorschläge unterbreitet. Google und nicht Dritte hätten die Verknüpfungen der Begriffe „hergestellt“ und im Netz zum Abruf bereitgehalten. Sie stammten deshalb unmittelbar von Google. Dieses so schlicht zu behaupten, ersetzt m. E. keine überzeugende Begründung.


Google haftet allerdings auch nach Auffassung des BGH nicht unbedingt für jede Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung durch Suchvorschläge. Zwar sei Google nicht bereits nach
§ 10 TMG von der Verantwortlichkeit für den Inhalt der von ihr betriebenen Website befreit. Google sei Diensteanbieter i. S. v. § 2 Satz 1 Nr. 1 TMG, der eigene Informationen zur Nutzung bereit hält und deshalb auch gemäß § 7 Abs. 1 TMG nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich sei. Google würde im vorliegenden Fall nicht wegen der Durchleitung, Zwischenspeicherung oder Speicherung fremder Informationen in Anspruch genommen, sondern wegen „einer eigenen Information“, nämlich „konkret wegen der als Ergebnisse ihres Autocomplete-Hilfsprogramms dem Nutzer ihrer Internet-Suchmaschine angezeigten Suchwortergänzungsvorschläge“. Es ginge insofern um einen von Google angebotenen "eigenen" Inhalt und nicht um das Zugänglichmachen und/oder Präsentieren von Fremdinhalten, für die ein Diensteanbieter gemäß §§ 8 bis 10 TMG nur eingeschränkt verantwortlich ist. Auch an dieser Stelle wird Begründung durch schlichte These ersetzt.

Bei der Abwägung der Interessen der Kläger am Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte einerseits und der durch
Art. 2, 5 Abs. 1 und 14 GG geschützten Interessen von Google auf Meinungs- und wirtschaftliche Handlungsfreiheit andererseits berücksichtigt der Bundesgerichtshof, dass Google die Suchmaschinenfunktion zwar in ihrem eigenen geschäftlichen Interesse in der beschriebenen Weise betreibt, um Nutzer wegen der Effektivität der Suche an sich zu binden. Doch würden die Nutzer ihrerseits daraus den Vorteil einer begriffsorientierten Suche nach Daten und Informationen ziehen. Auf Seiten der Kläger sei für die Abwägung entscheidend, dass die verknüpften Begriffe einen unwahren Aussagegehalt hätten, weil der Kläger zu 2 weder in Verbindung mit einem Betrug gebracht werden könne, noch Scientology angehöre oder auch nur nahe stände. Äußerungen von unwahren Tatsachen müssten nicht hingenommen werden. Welche ausreichend substanzreiche Tatsachenbehauptung hier vermeintlich vorliegt, bleibt im Unklaren.

Jedenfalls könne eine Haftung von Google „als Störerin nicht von vornherein verneint werden“.

Eine Täterhaftung prüft der BGH immerhin erst gar nicht.

Selbst bei einer etwaigen Störerhaftung müsse Google allerdings nicht uneingeschränkt und unabhängig von Zumutbarkeitsgesichtspunkten haften, da nach den besonderen Umständen des Streitfalles der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit in einem Unterlassen liege. Das Entwickeln und die Verwendung der die Suchvorschläge erarbeitenden Software sei Google doch nicht vorzuwerfen, da es sich hierbei um eine durch
Art. 2, 14 GG geschützte wirtschaftliche Tätigkeit handele. Ein „Fallrückzieher“ der Karlsruher?

Der BGH verkennt nicht, dass das Suchmaschinenangebot zumindest nicht von vornherein auf eine Rechtsverletzung durch eine gegen eine bestimmte Person gerichtete unwahre Tatsachenbehauptung abzielt, da erst durch das Hinzutreten eines bestimmten Nutzerverhaltens „ehrverletzende Begriffsverbindungen entstehen“ können.

Die Tätigkeit von Google sei aber nicht nur rein technischer, automatischer und passiver Art und nicht ausschließlich beschränkt auf die Bereitstellung von Informationen für den Zugriff durch Dritte.

Google verarbeite die Abfragedaten der Nutzer in einem eigenen Programm, das die Begriffsverbindungen dann bilde. Für deren Angebot in Form eigener Suchvorschläge sei Google „grundsätzlich aufgrund der ihr zuzurechnenden Erarbeitung verantwortlich“. Google müsse sich grundsätzlich vorwerfen lassen, „keine hinreichenden Vorkehrungen getroffen zu haben, um zu verhindern, dass die von der Software generierten Suchvorschläge Rechte Dritter verletzen“. Schon wieder eine argumentative Kehrtwende?
 
Google sei allerdings grundsätzlich nicht verpflichtet, die generierten Suchergänzungsvorschläge generell vorab auf etwaige Rechtsverletzungen zu überprüfen. Da dies den Betrieb einer Suchmaschine mit einer der schnellen Recherche der Nutzer dienenden Suchergänzungsfunktion entweder sogar unmöglich machen, zumindest aber unzumutbar erschweren würde. Den Betreiber einer Internet-Suchmaschine treffe deshalb grundsätzlich erst bei Kenntnis von einer Rechtsverletzung – z.B. durch Hinweise des Betroffenen - eine Prüfungspflicht und die Verpflichtung, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern.

Da das Oberlandesgericht Köln keine rechtliche Würdigung unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Prüfungspflichten vorgenommen habe und auch einen - nur in engen Grenzen zu gewährenden - Anspruch auf Geldentschädigung sowie einen etwaigen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht geprüft habe, sei dies nun nachzuholen.

Die Argumentationswendungen des BGH erscheinen bemüht und dabei wenig überzeugend und machen die rechtliche Einordnung und Prognose der Rechtsfigur einer „Störerhaftung“ nicht transparenter und nicht einfacher.

Update vom 26.05.2013:

Wenn beim Suchwort "Merkel" Google's Suchmaschine 
den Ergänzungsbegriff "Waffen" vorschlägt,

bei der Suche nach "Guido Westerwelle" dieser mit der BGH-Lesart durch
Autocomplete dann wohl zum "Vater" gemacht wird und

bei der Google-Suche nach Bundespräsident "Joachim Gauck"
die etwa diskreditierende Assoziation "Steckbrief" auftaucht,

wird deutlich, das die höchstrichterlichen Bewertungen über
"Erwartungen", "Zusammenhänge", "Verknüpfungen", "Verbindungen", "Bezüge", "Inhalte", "Informationen", "Aussagegehalt" und "Tatsachen"
im Zusammenhang mit der Autocomplete-Funktion den tatsächlichen technischen und medialen Abläufen und Verständnissen nicht ausreichend differenziert gerecht werden. Die Kombination eines Namens mit einem Wort ist und bleibt so mehrdeutig und damit gleichzeitig so substanzlos unkonkret und nichtssagend-vielsagend, dass ein derartig begründetes Verbot die Informationsfreiheit und Kommunikationsfreiheit in gefährlicher Weise beeinträchtigen würde.
 Da werden voraussichtlich auch das Bundesverfassungsgericht und der EuGH noch "Ergänzungen" zu "komplettieren" haben. 

Update vom 08.04.2014: 

Das OLG Köln hat Google nun mit Urteil vom 08.04.2014, Az. 15 U 199/11, teilweise (hinsichtlich der Suchwortergänzung "Scientology") zur Unterlassung verurteilt, weil Google auf die diesbezügliche Löschungsaufforderung nicht reagiert hatte. Geldentschädigungen wurden nicht zugesprochen. Eine nochmalige Revision hat das Oberlandesgericht nicht zugelassen. Die Kläger können Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof einlegen. Die Entscheidungsgründe des OLG liegen noch nicht vor.

 

Update vom 11.04.2014:

Heute liegen die schriftlichen Entscheidungsgründe des OLG-Urteils aus Köln vom 08.04.2014, Az. 15 U 199/11, vor. Das Berufungsgericht begründet seine Entscheidung auf der Basis der oben von mir kommentierten Wertungen des BGH aus dessen Urteil vom 14.05.2013. Da werden Google auf der einen Seite und zahlreiche Anwälte auf der anderen Seite ja noch viel zu tun bekommen im Streit um so manche Suchwortkombination.