Freitag, 1. Juni 2012

Abmahnung für zweierlei Maß: Wenn ein Link Eindruck erweckt - im Blog und bei Gericht



Medienrechtliche Begründungstechnik aus Hamburg in der Kritik

Nach einem heftig diskutierten aktuellen Urteil der Hamburger Pressekammer soll ein Blogger, und zwar der Kollege Rechtsanwalt Markus Kompa, für Inhalte verlinkter Filmdateien als Störer haften. Über medienrechtliche und verfassungsrechtliche Fragen kann und darf heftig gestritten werden - auch bei Gericht und auch von unterschiedlichen Gerichten und gerichtlichen Instanzen. Das Urteil der "fliegenden" Zivilkammer 24 des Landgerichts Hamburg (Az. 324O 596/11) ist allerdings bereits wegen der im Tatbestand und in seinen Entscheidungsgründen enthaltenen Darstellungs- und Argumentationstechnik als denklogisch, verfahrensrechtlich und materiellrechtlich kritikwürdig und unangemessen zu bewerten.

In dem Zusammenhang fallen u. a. die folgenden Handhabungen auf:

1.
Schon im Urteilstatbestand wird man unter Zugrundelegung der vom Kollegen Rechtsanwalt Thomas Stadler mitgeteilten Details dem wirklichen Sachvortrag des beklagten Bloggers nicht gerecht.

Im Tatbestand finden sich einige Angaben über das vermeintliche Vorgehen der Mitarbeiter der WISO-Redaktion bzw. des ZDF anlässlich ihres "Besuchs" und der Durchführung von "Filmaufnahmen, die am 22.9.2010 mit versteckter Kamera in der Münchener Arztpraxis des Klägers" gefertigt wurden. Im richterlich abgefassten Tatbestand befinden sich auch einige Einzelheiten zu vermeintlich richtigen oder falschen Inhalten einer in dem streitgegenständlichen Fernsehbeitrag abgebildeten Presseerklärung der Charité.

Angaben zu diesbezüglichen Kenntnis- oder Erkenntnis-Möglichkeiten des bloggenden Beklagten finden sich im Urteilstatbestand demgegenüber nicht, obwohl anscheinend gegenüber dem Leser des Urteils der Eindruck erweckt werden soll, der beklagte Blogger habe diesbezügliche Detail-Kenntnisse gehabt bzw. haben müssen. Aber vielleicht sollten wir dem Urteil nicht voreilig bestimmte Eindruckerweckungen vorhalten, obwohl es selbst massiv dazu neigt; dazu sofort mehr:

2.
Die in den Entscheidungsgründen enthaltene Formulierung

"Der mit dem Antrag zu Ziffer 2. beanstandete Eindruck, der Kläger habe in seiner Münchener Praxis Patienten Eigenblutpräparate mit nach Hause gegeben, wird durch die Bezugnahme auf eben die Münchener Praxisräume erweckt. Dieser Eindruck hat jedenfalls prozessual als unwahr zu gelten."

ist entlarvend. Dies gilt insbesondere, wenn einerseits im Zusammenhang mit der Frage eines etwaigen "Eindruck Erweckens" die Pressekammer offensichtlich sehr weite und großzügige Auslegungen vorzunehmen bereit ist, andererseits aber Beweisanträge des Beklagten in recht spitzfindiger Manier und in unangemessener Weise sehr eng auslegen möchte:

"Der Beklagte trägt zwar vor, die Behauptung, der Kläger händige Eigenblutpräparate an seine Patienten aus, sei wahr. Eine solche Äußerung ist aber gar nicht streitgegenständlich. Der Kläger beanstandet nicht die pauschale Aussage, er händige Eigenblutpräparate an Patienten aus, unabhängig davon, wo dies erfolgen soll, sondern bezieht sich ausdrücklich auf eine Abgabe in seiner Münchener Arztpraxis. Ob der Kläger also möglicherweise in seiner Salzburger Praxis Eigenblutpräparate Patienten mit nach Hause gibt, ist weder Gegenstand der angegriffenen Berichterstattung noch des Antrags des Klägers. Bereits aus diesem Grund war dem angebotenen Zeugenbeweis des Beklagten nicht nach zu gehen. Auch darüber hinaus ist der Beweisantritt unsubstantiiert, so dass eine Vernehmung der Zeugen auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausliefe. Dies folgt schon aus dem Umstand, dass der Beklagte seine Beweisbehauptung darauf bezieht, dass der "Kläger bzw. dessen Mitarbeiter" die Ampullen an Patienten aushändigten. Der Beklagte lässt in seinem Beweisantritt also selbst offen, ob tatsächlich der Kläger die Eigenblutpräparate den Patienten mit nach Hause gibt. Hier auf  kommt es jedoch gerade entscheidungserheblich an, da nur eine solche Behauptung streitgegenständlich ist."


Das ist nach meiner Auffassung unzulässige Wortklauberei. Hier wird in unerträglicher Weise mit zweierlei Maß gemessen.Was veranlasst das Gericht, einem Beweisantritt zu unterstellen, es gehe darin nicht um die naheliegende streitgegenständliche Auslegungsvariante?

Auch unabhängig von der Frage, welche Eindruckerweckungen man aus medialen Berichterstattungen abzuleiten in der Lage oder Willens ist, beschneidet die nicht sachgerechte Berücksichtigung der Beweisantritte des Beklagten diesen nachhaltig in seinen prozessualen Rechten.

3.
Soweit über die fragliche Existenz eines „Gutachtens“ oder einer „objektiven gutachterlichen Beurteilung“ der Charité zur Wirksamkeit der Therapien des klagenden Krebsarztes gestritten wird, finden sich im erstinstanzlichen Urteil widersprüchliche Ansätze und Bewertungen:

 - „Die in dem Fernsehbeitrag gezeigte Abbildung einer Pressemitteilung der Charité bestreitet ausdrücklich die Existenz zur Wirksamkeit der Therapien.“
 - „Dieser Eindruck wird durch den vom Beklagten verfassten Text, der unterhalb des Videos mit dem ZDF-Beitrag zu sehen ist, nicht revidiert.“
 - Der beklagte Blogger weise dort lediglich darauf hin, dass der umstrittene Krebsarzt „stets mit einem vierseitigen Gutachten der Charité“ … „argumentiere“.

Heißt Distanzierung von verlinkten Inhalten jetzt neuerdings „Revidierung“?
Wie soll ein Blogger sachgerechter mit der kurzen Darstellung von (medienrechtlichen) Streitfällen umgehen, als mit der Erwähnung oder Skizzierung beider Streitpositionen?

Falls ein Blogger dabei ansatzweise eigene Bewertungen einfließen lassen sollte – was im Übrigen m. E. mit eine der vornehmsten Aufgaben eines Bloggers ist (!) – dürfte selbst dies vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen.

Das Hamburger Urteil geht allerdings noch weiter: Es legt sich fest und legt dabei zu Grunde: „Der so erweckte Eindruck ist unwahr.“ In dem Zusammenhang verweist es auf eine „gutachterliche Stellungnahme der Charité zur Wirksamkeit des Arzneimittels Eigenblutytokine in der Tumormedizin.“ Ja, da wird mal wieder mit weniger anspruchsvollen Maßstäben agiert - statt mit der an anderer Stelle manchmal "akribischen" Bedeutungszumessung zu bestimmten Begrifflichkeiten oder Formulierungen: So wird schon mal schnell aus einer schlichten „gutachterlichen Stellungnahme der Charité zur Wirksamkeit des Arzneimittels Eigenblutytokine in der Tumormedizin“ ein „Gutachten der Charité zur Wirksamkeit der Therapien des Dr.  …“ bzw. eine „objektive gutachterliche Beurteilung, welche den Therapieerfolg wissenschaftlich glaubwürdig belegt“, wie es im dritten Klageantrag heißt. Erstaunlich ungenau, wenn man bedenkt, wie genau die Blog-Formulierungen des Beklagten eingegrenzt werden.

4.
Mit zweierlei Maß wird auch dann gemessen, wenn es um die juristisch und prozessual übliche und zulässige Möglichkeit geht, sich im Rahmen seines Vortrages auf den Inhalt konkret beigefügter Texte zu beziehen.

Die erkennende Kammer verweist in ihren Entscheidungsgründen über lange Passagen auf Urteilstexte aus einem parallelen einstweiligen Verfügungsverfahren des klagenden Krebsarztes gegen das ZDF (Az. 324 O 657/10) sowie auf Veröffentlichungen des Bundesverfassungsgerichts, um damit das hier kritisierte Urteil zu begründen. Dem Beklagten wird im gleichen prozessualen Verfahren und mit dem gleichen Urteil demgegenüber das Recht abgesprochen, sich zur Vermeidung von Wiederholungen seinerseits auf den Text der Widerspruchsschrift vom 26.1.2012 aus eben dem vom Gericht im Urteil unter Bezug genommenen Verfahren des Klägers gegen das ZDF (Az. 324 O 657/10) sowie auf den Schriftsatz der dortigen Antragsgegnerin vom 9.3.2012 zu beziehen und sich den dortigen Inhalt zu Eigen zu machen.

Auch dem Antrag des Bloggers, die vorerwähnte Verfahrensakte beizuziehen, wurde seitens des Gerichts nicht entsprochen.

Im Urteil halten es die Richter dennoch für richtig, sich über drei Seiten lang gerade auf den Inhalt des dort gefällten Urteils zur Begründung des hier gefällten Urteils zu beziehen.

5.
Eine Beiziehung der Akten des Parallelverfahrens wäre im Übrigen auch bereits vor dem Hintergrund des prozessualen Grundsatzes der "Waffengleichheit" fair und geboten gewesen. Dies gilt um so mehr, als die Kammer offensichtlich maßgeblich auf Erkenntnisse oder Bewertungen aus dem Parallelverfahren zurückgreifen will.

6.
Soweit die Pressekammer journalistische Recherchen als "Ausspionieren" klassifiziert bzw. abqualifiziert, ist auch eine derartige Urteilssprache entlarvend. Vier Seiten weiter verlangt das Urteil vom Blogger "eigene Recherchen" zu den Inhalten der verlinkten Filmdatei.

7.
Im hier der Kritik ausgesetzten aktuellen Urteil aus Hamburg ist immer wieder von "Praxis", "Praxisräumen", "Arztpraxis" oder "Arztpraxisräumen" die Rede. Eine genauere und eindeutigere Spezifizierung der Räumlichkeiten findet nicht statt, obwohl nach dem - wenn auch im gerichtlichen Urteilstatbestand nicht wiederfindbar - wohl unstreitig gebliebenen Sachvortrag des Beklagten klargestellt wurde, dass die Filmaufnahmen des ZDF-Teams "keineswegs in den Behandlungszimmern stattfanden, sondern in dem für jedermann frei zugänglichenEmpfangsbereich", was für die Qualität des rechtlich zu bewertenden Schutzbereiches nicht unerheblich sein dürfte.

Dies gilt erst recht, falls der klagende Krebsarzt auch selbst mit Bildaufnahmen seines Instituts bzw. des dortigen Empfangsbereichs nach außen öffentlich und werblich in Erscheinung tritt oder trat. Die entsprechenden Räumlichkeiten sind wohl auch grundsätzlich frei zugänglich, was bei der Abwägung etwaiger Persönlichkeitsrechts-Beeinträchtigungen naturgemäß ebenfalls nicht unbeachtet bleiben darf.

8.
Das Urteil lässt einerseits offen, ob der Blogger sich den Inhalt des verlinkten Fernsehbeitrages zu Eigen macht, andererseits heißt es in den Entscheidungsgründen, „dass er sich nicht inhaltlich mit dem Beitrag auseinandersetzt.“ Dennoch bemüht man die „Grundsätze der Störerhaftung“ und verlangt vom verlinkenden Blogger, Links „zu hinterfragen und eigene Recherchen zu unternehmen“. Der Blogger habe „bei dem Betroffenen nachfragen müssen.“ Und was ist mit weiteren Recherchen des Bloggers beim ZDF … und bei der Charité … und vielleicht auch noch bei unbeteiligten Sachverständigen? Und das alles, „um so das Verhalten des Klägers kritisch zu kommentieren“, wie es an weiterer Stelle des Urteils zu dem Blog-Beitrag des Beklagten heißt. Da werde jemand schlau draus. Medienrechtlich und verfassungsrechtlich wird da allerdings wohl so schnell keiner schlau draus.

9.
Dass die Fachkammer bei der Auslegung der bereits abgegebenen strafbewehrten Unterlassungserklärungen des beklagten Bloggers wieder zu m. E. zu engen und zu strengen Auslegungstendenzen neigt, mag an anderer Stelle erörtert werden, wenn es auch ebenfalls ins Bild passt bzw. zu dem schlechten Eindruck einer gerichtlichen Anlegung unterschiedlicher Maßstäbe.