Samstag, 22. Dezember 2012

Skandal: Abmahnung der Weihnachtsgeschichte

Engel, Hirten und Piraten
Urheberrecht zum Fest
"Es begab sich aber zu der Zeit, dass rasch ein Gebot von dem Kaiser Sonyus ausging, dass alle Netzwelt abgemahnt würde. Und diese Abmahnung war weiß Gott nicht die Allererste und geschah zur Zeit, da ein Frommer Warner und Quälgeistius Lizenz-Halter in Universal war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder mit seinem Router.

Da machte sich auf auch Josef von seiner dynamischen IP-Adresse, aus der Auskunftsliste aus der Stadt Colonia, in das bayerische Land zur Stadt Waldorfs, die da heißt Betteldenn, während er gar nicht aus der Tauschbörse und dem Geschlechte Filesharings war, damit er sich löschen ließe mit Maria, seinem vertrauten Motherboard; das ging mit einem W-LAN schwanger.

Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie downloaden sollte. Und sie erwarb ihren ersten Song und wickelte ihn in Dateien und legte ihn in einen Ordner; denn sie hatten sonst keinen Speicher in der Hardware.

Und es waren Piraten in demselbem Forum auf dem Hotspot bei den Netzsperren, die hüteten des Nachts ihre Software. Und der Pressesprecher des Herrn Richter trat zu ihnen und das Unterlassungsurteil des Herrn Richter leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Sprecher sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Netz-Freiheit, die allem Web widerfahren wird; denn euch ist heute der Highlander geboren, welcher ist Piratus, der Herr oder die Frau, in der Stadt Karlsruhe. Und das habt zum primären und sekundären Beweis: ihr werdet nicht finden den Titel in Hashwerte gewickelt und in einer Crawling-Krippe liegen.

Und alsbald war da bei dem Pressesprecher die Menge der bloggenden Medienscharen, die lobten den göttlichen Gerichtshof und sprachen: Ehre sei Karlsruhe in der Höhe und Friede auf Erden bei den Urhebern seiner Lizenz und den Störern seines Wohlgefallens."

 - Mit freundlicher Genehmigung von Lukas und den besten Wünschen für friedvolle Weihnachten und einen abmahnungsfreien Jahreswechsel -

Dienstag, 11. Dezember 2012

Pressefreiheit zum Advent: Abmahnung des BGH nach Hamburg

Der BGH hat mit zwei Urteilen vom 11. Dezember 2012 - VI ZR 314/10 und VI ZR 315/12 - wieder sehr bedenkliche Urteile des LG Hamburg und des Hanseatischen OLG Hamburg
(LG Hamburg: Urteil vom 15. August 2008 - 324 O 774/04
Hanseatisches OLG Hamburg: Urteil vom 12. Oktober 2010 - 7 U 89/08
und
LG Hamburg: Urteil vom 30. Mai 2008 - 324 O 18/05
Hanseatisches OLG Hamburg: Urteil vom 12. Oktober 2010 - 7 U 67/08)
mit  unmissverständlicher Kritik aufgehoben und damit ein weiteres Mal ein deutliches Zeichen für mehr Respekt vor der Pressefreiheit gesetzt.


Der klagende, seinerzeitige Professor an der Universität Leipzig, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der PDS im Sächsischen Landtag und Spitzenkandidat der PDS für die Landtagswahl am 19. September 2004 nimmt die Beklagten - nämlich die Verleger von "Sächsische Zeitung", "Dresdner Morgenpost", "Bild" und "Die Welt" - wegen redaktioneller Berichterstattung über angebliche Tätigkeiten als IM (Inoffizieller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR) auf Unterlassung in Anspruch.

Die Beklagten berichteten im August 2004 in mehreren Artikeln über einen Verdacht: Der Kläger habe als langjähriger IM "Christoph" mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet und dabei insbesondere seine damalige Freundin und jetzige Frau bespitzelt. 

Der Kläger sieht sich durch die Veröffentlichungen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Er behauptet, er habe keine Kenntnis davon gehabt, dass das Ministerium für Staatssicherheit ihn als "IM Christoph" geführt habe. Er sei ohne sein Wissen "abgeschöpft" worden. Die Beklagten stützten ihre Verdachtsberichterstattung u.a. auf eine entsprechende Stellungnahme des Pressesprechers der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR.

Die Pressekammer des Landgerichts Hamburg hat den Klagen überwiegend stattgegeben. Die Berufungen der Beklagten blieben noch erfolglos. Auf die Revisionen der Beklagten hat der Bundesgerichtshof die Urteile des OLG Hamburg aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. 

In seiner heutigen Pressemitteilung lässt es der VI. Zivilsenat des BGH an abmahnender Deutlichkeit und harscher Kritik gegenüber den Hamburger Entscheidungen nicht fehlen:

"Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme, dass das von den Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinter dem Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit zurückzutreten habe. Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten nicht bewiesen, dass der Kläger wissentlich und willentlich mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet habe, ist unvollständig und verstößt gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Die von ihm vorgenommene Deutung der in den Akten des MfS verwendeten Begriffe ist weit hergeholt und mit dem natürlichen Sprachempfinden kaum in Einklang zu bringen. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die richterliche Überzeugung überspannt. Das Berufungsgericht hat auch zu Unrecht die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung verneint. Es hat insbesondere nicht berücksichtigt, dass die Beklagten der Stellungnahme des Pressesprechers der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR, den gefundenen Unterlagen sei zweifelsfrei zu entnehmen, dass der Kläger als IM Christoph für den Staatssicherheitsdienst tätig gewesen sei, ein gesteigertes Vertrauen entgegenbringen durften. Bei dem Bundesbeauftragten handelt es sich um eine Bundesoberbehörde, der durch Gesetz die Aufgabe zugewiesen ist, die Stasi-Unterlagen auszuwerten und zu archivieren." (Fettdruck durch den Verfasser)

Da ist eine presserechtliche Klatsche aus Karlsruhe bei den Hamburger Spruchkörpern angekommen; Advent heißt ja auch "Ankunft".

Den schriftlichen Entscheidungsgründen darf mit Spannung und Interesse entgegengesehen werden.

Donnerstag, 15. November 2012

Filesharing-Abmahnung verliert nach BGH-Urteil an Boden und Grund

Mit dem heutigen Urteil des Bundesgerichtshofs (Az. I ZR 74/12 - "Morpheus" ) haben die Musik-Konzerne und die Abmahn-Industrie nicht nur einen Prozess verloren, sondern auch die Grundlage für unzählige Filesharing-Abmahnungen.

Der Pressemitteilung des BGH vom 15.11.2012 sind unter Berücksichtigung des mit der höchstrichterlichen Entscheidung aufgehoben Urteils des OLG Köln vom 23.03.2012 (Az. 6 U 67/11) sowie des erstinstanzlichen Urteils der vielkritisierten 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 30.03.2011 (Az. 28 O 716/10) aus meiner Sicht insbesondere die folgenden berechtigten Bewertungen bzw. Erwartungen zu entnehmen:

  1. Es gibt keine grundsätzliche oder grundsätzlich vermutbare deliktische Schadenshaftung der Eltern für illegale Filesharing-Aktivitäten ihrer minderjährigen Kinder.
  2. Erst recht gibt es keine grundsätzliche oder grundsätzlich vermutbare deliktische Schadenshaftung der Eltern für illegale Filesharing-Aktivitäten ihrer volljährigen Kinder.
  3. Es gibt auch keine grundsätzliche oder grundsätzlich vermutbare Störerhaftung der Eltern für illegale Filesharing-Aktivitäten ihrer Kinder und damit auch keine grundsätzliche Berechtigung zur Abmahnung der Eltern sowie insbesondere keine grundsätzlich daraus etwa ableitbare Verpflichtung der Eltern zur Erstattung anwaltlicher Abmahnungskosten.
  4. Eltern sind bei häuslichem Internetanschluss lediglich verpflichtet, minderjährige Kinder über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen zu belehren. Dies reicht zumindest dann aus, wenn das Kind (im Streitfall 13 Jahre alt) normal entwickelt ist und grundlegende Gebote und Verbote der Eltern regelmäßig befolgt.
  5.  Eine grundsätzliche Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internetanschlusses durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren - z. B. durch Portsperren oder Kindersicherungen, besteht nicht. Eine Verpflichtung der Eltern zu derartigen Maßnahmen besteht allenfalls dann, wenn die Eltern konkrete Anhaltspunkte für eine rechtsverletzende Nutzung des Internetanschlusses durch das Kind haben.
Das entzieht zu Recht etlichen an die Inhaber familiärer Internetanschlüsse gerichteten Filesharing-Abmahnungen die deliktsrechtliche und urheberrechtliche Grundlage.

  • Update:  "Früher hätten die Eltern dafür auch schon mal Ohrfeigen verteilt." Interessanter Terminsbericht zur Verhandlung vor dem 1. Zivisenat des BGH von Rechtsanwalt Solmecke

Freitag, 2. November 2012

Filesharing-Abmahnung ohne Strom? Urlaub für Täter- und Störerhaftung?

Es wird nicht leichter für Filesharing-Abmahnungen - selbst auf Kölner Terrain: Auf ein neues Urteil der 28. Zivilkammer des Langerichts Köln vom 24.10.2012 ( Az. 28 O 391/11) weisen die Rechtsanwälte Wagner Halbe hin.

Nach der insoweit richtungsweisenden Entscheidung des OLG Köln vom 16.05.2012 (Az. 6 U 239/11) und dem die dortigen Vorgaben aufgreifenden Urteil der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 11.09.2012 (Az. 33 = 353/11) hat nun auch die zuvor recht großzügig mit P2P-Abmahnungen umgehende 28. Zivilkammer des Kölner Landgerichts sich kritischer als sonst mit Filesharing-Vorwürfen von Warner, Universal, EMI und Sony Music auseinandergesetzt. Dennoch gibt das aktuelle Urteil keinen Anlass zu Über-Interpretationen, wenn auch neben den immer klarer gezogenen Grenzen einer Täter- und Störerhaftung zunehmende Zweifel an den Recherche-Methoden auftauchen.

Zum zugrundeliegenden Sachverhalt führt das Landgericht u. a. aus:
...
Die Klägerinnen haben ... die Firma pro Media GmbH mit der Ermittlung solcher Urheberrechtsverletzungen beauftragt. Diese ermittelte, dass am 19.06.2007 um 15:04:56 Uhr über einen Internetanschluss, dem zu diesem Zeitpunkt die IP-Adresse „XXX.XX.XXX.XX“ zugewiesen war, mittels einer Tauschbörsensoftware insgesamt 2.200 Audiodateien zum Download verfügbar gemacht wurden.
...
Die Klägerinnen stellten daraufhin am 20.06.2007 Strafanzeige. Nach der in dem Ermittlungsverfahren eingeholten Auskunft der Deutsche Telekom AG als zuständigem Internet-Service-Provider war die vorgenannte IP-Adresse zu dem streitgegenständlichen Zeitpunkt dem Internetanschluss des Beklagten zugewiesen. In dem Haushalt des Beklagten lebten seinerzeit dessen Ehefrau sowie dessen zum damaligen Zeitpunkt 16 bzw. 20 Jahre alten Söhne.

Nachdem die Klägerinnen durch Einsichtnahme in die Ermittlungsakten Kenntnis von der Person des Beklagten erhalten hatten, mahnten sie diesen durch Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 24.09.2007 ab und forderten ihn auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Hierauf reagierte der Beklagte nicht.
Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Klägerinnen nunmehr Ansprüche auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert von EUR 200.000,00 sowie Schadensersatz in Form der Lizenzentschädigung, die Sie pro Musiktitel mit EUR 200,00 beziffern.
...
Die Klägerinnen beantragen, den Beklagten zu verurteilen,
1. an die Klägerin zu 2) EUR 800,00, an die Klägerin zu 3) EUR 200,00 und an die Klägerin zu 4) EUR 2.000,00 EUR jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;


2. an die Klägerinnen zu 1) bis 4) zu gleichen Teilen EUR 2.380,80 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.


Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.


...
Er sei mit der gesamten Familie vom 18.-25.06.2007 im Urlaub gewesen und vor Urlaubsantritt seien sämtliche technische Geräte, insbesondere Router und Computer vom Stromnetz getrennt worden. Ein Datentausch über seinen Internetanschluss sei daher zum streitgegenständlichen Zeitpunkt unmöglich gewesen. Im Übrigen hält der Beklagte den Lizenzschaden für übersetzt, ebenso die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten: der zu Grunde gelegte Gegenstandswert sei überhöht und es sei von einer pauschalen Entgeltabrede im Verhältnis der Klägerinnen zu ihren Prozessbevollmächtigten auszugeben.
Abmahnkosten könnten aber auch dem Grunde nach nicht verlangt werden: die Abmahnung sei zu weit gefasst und der Unterlassungsanspruch überdies nicht weiterverfolgt worden.


...
 In den Entscheidungsgründen heißt es dazu u. a.:
...
1. Die Klage ist zulässig, ...
2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
Nach den unstreitigen familiären Umständen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme geht die Kammer davon aus, dass der Beklagte die behauptete Rechtsverletzung weder selbst begegangen, noch an ihr als Teilnehmer beteiligt war; er ist für sie auch nicht als Störer verantwortlich. Gegen ihm bestehen daher weder Ansprüche auf Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten (§§ 683, 670 BGB) noch auf Schadenersatz (§ 97 UrhG); ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der Verletzung elterlicher Aufsichtspflichten besteht ebenfalls nicht.
a) Der verfolgte Anspruch auf Schadensersatz besteht gegen den Beklagten weder aus § 97 UrhG noch aus § 832 BGB.


aa) Ein Anspruch aus § 97 UrhG scheidet aus, da der Beklagte nach den gegebenen Umständen nicht selbst Täter der behaupteten Urheberrechtsverletzung ist und an diese auch nicht als Teilnehmer beteiligt war.


Gegen den Beklagten spricht zwar im Ausgangspunkt die tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Inhabers des Internetanschlusses, über den die Urheberrechtsverletzung begangen worden ist (BGH vom 12.05.2010, I ZR 121/08, Sommer unseres Lebens). Die Klägerinnen haben mithilfe der Screenshots (Anlage K1) belegt, dass am 19.06.2007, 15:04:56 Uhr über den Internetanschluss, dem zu diesem Zeitpunkt die IP-Adresse „XXX.XX.XXX.XX“ zugewiesen war, die aus der Anlage K1 ersichtlichen Dateien mit den Namen von Musiktiteln öffentlich zugänglich gemacht worden sind. Die Deutsche Telekom AG hat weiterhin ausweislich Anlage K3 bestätigt, dass die vorgenannte IP-Adresse zum vorgenannten Zeitpunkt dem Internetanschluss des Beklagten zugewiesenen war. Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der Screenshots oder der Beauskunftung durch die Deutsche Telekom AG begründen könnten, sind auf den ersten Blick nicht ersichtlich, so dass in einem ersten Schritt davon auszugehen war, dass die streitgegenständliche Verletzungshandlung vom Internetanschluss des Beklagten aus erfolgte.


Allerdings ist die darauf aufbauende tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Beklagten vorliegend schon durch den tatsächlichen Umstand entkräftet, dass außer diesem auch dessen Frau und Kinderzugriff auf den Internetzugang hatten. Die Vermutung der Täterschaft greift bei dieser Sachverhaltskonstellation nicht ein. Hinzu kommt, dass die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon ausgeht, dass sich der Beklagte mitsamt seiner Familie zum streitgegenständlichen Zeitpunkt im Urlaub befand und PC und Router vom Stromnetz getrennt waren.


Dafür, dass der Beklagte als Anstifter oder Gehilfe an der Tat eines Dritten beteiligt gewesen sein könnte, und aus diesem Grunde auf Schadensersatz haften würde, ist nichts ersichtlich.
bb) Der Beklagte haftet auch nicht nach § 832 BGB wegen der Verletzung von elterlichen Aufsichtspflichten auf Schadensersatz, da nicht ersichtlich ist, dass die Rechtsverletzung durch einen zum damaligen Zeitpunkt minderjährigen Sohn erfolgte.
b) Die Klägerinnen können von dem Beklagten auch nicht die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten beanspruchen. Aus Schadensersatzgesichtspunkten besteht ein solcher Anspruch nicht (s.o.). Den Klägerinnen steht darüber hinaus auch kein Anspruch nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 683, 670 BGB ) zu. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme haftet der Beklagte auch nicht als Störer für die behauptete Rechtsverletzung, so dass die Abmahnung unberechtigt erfolgte.


Als Störer kann bei der Verletzung absoluter Rechte in Anspruch genommen werden, wer - ohne Täter oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beiträgt. Allerdings darf die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, die die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben; sie setzt daher die Verletzung von Prüfpflichten voraus, deren Umfang sich danach bestimmt, inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen eine Prüfung nach den Umständen zumutbar ist (BGH vom 12.05.2010, I ZR 121/08).
aa) Eine solche Prüf- und Kontrollpflicht nimmt die Kammer in Bezug auf die Überlassung eines Internetanschlusses an minderjährige Kinder an. Die Überlassung des Internetanschlusses an minderjährige Kinder begründet - nicht zuletzt auch als Ausfluss elterlicher Aufsichtspflicht – die Verpflichtung des überlassenden Anschlussinhabers, das Kind über die Wahrung von Rechten Dritter zu belehren und das Verhalten des Kindes regelmäßig darauf hin zu kontrollieren.


Gleichwohl kann insoweit nicht von einer Störerhaftung des Beklagten ausgegangen werden, da nicht feststeht, dass die Rechtsverletzung gerade durch den minderjährigen Sohn des Beklagten begangen wurde.
bb) Ob auch die Überlassung des Internetanschlusses an erwachsene Haushaltsangehörige oder Dritte entsprechende Prüf- und Kontrollpflichten mit sich bringt, die eine Störerhaftung begründen können, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Der nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Rechtsverletzung nicht durch eine Person begangen worden ist, der der Beklagte den Internetanschluss überlassen hat. Sämtliche Personen, die Zugang zu diesem Internetanschluss hatten, befanden sich danach zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung im Urlaub auf Mallorca. Dies hat die Zeugin X übereinstimmend mit dem vorgelegten Mietvertrag bekundet und die Kammer hat keine objektiven Umstände feststellen können, die durchgreifende Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussage begründen würden.


Soweit die Klägerinnen in diesem Zusammenhang einwenden, die körperliche Anwesenheit sei für die Teilnahme an Filesharing-Programmen weder Voraussetzung noch auch üblich, stimmt die Kammer dem im Grundsatz zu, hält dies aber bei einer einwöchigen Urlaubsabwesenheit für fernliegend. Hinzu kommt, dass angesichts der Aussagen der Zeugen Y und Z davon auszugehen ist, dass PC und Router vom Stromnetz getrennt waren (s.u.).
cc) Eine Störerhaftung des Beklagten ließe sich danach nur noch damit begründen, dass die Rechtsverletzung durch ein rechtsmissbräuchlichen Zugriff Dritter auf den Internetanschluss des Beklagten erfolgt ist und der Beklagte diesen Zugriff ermöglicht hat, indem er den Internetanschluss nicht ausreichend gegen Zugriffe durch Dritte gesichert hatte. Insoweit hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Sommer unseres Lebens“ (s.o.) erkannt, dass den Betreiber eines W-Lan-Anschlusses eine Prüfpflicht hinsichtlich ausreichender Sicherheitsmaßnahmen treffe. Diese gehe zwar nicht so weit, dass der private W-Lan-Betreiber das Netzwerk stets dem neuesten Stand der Technik anpassen müsse. Die Prüfpflicht beziehe sich aber auf die Einhaltung der im Kaufzeitpunkt des Routers für den privaten Bereich marktüblichen Sicherungen.

Ob die Sicherung des Routers des Beklagten diesen Anforderungen entsprach, ist zumindest zweifelhaft. Letztlich kann dies aber dahinstehen, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen ist, dass der Router vom Stromnetz getrennt war. Sowohl der Zeuge Y als auch der Zeuge Z haben bekundet, dass die Ehefrau des Beklagten vor Urlaubsantritt durch das ausgegangen ist und die elektrischen Geräte vom Stromnetz getrennt hat. Die Zeugen haben insoweit ausgeführt, dass die Mutter dies immer so mache und auch an diesem Tage so gehandelt hatte. Zwar hat keiner der Zeugen direkt gesehen, dass die Mutter auch den im Büro befindlichen Router vom Stromnetz getrennt hat; der Zeuge Z hat jedoch beobachtet, dass seine Mutter im Zusammenhang mit dem Ziehen der Stecker vor Urlaubsantritt auch im Büro in der Ecke tätig gewesen sei, in der sich die Stecker befunden haben. Die Kammer geht auf der Grundlage dieser Aussage davon aus, dass die Mutter regelmäßig die Stecker gezogen hat und dass dies auch an diesem Tag geschehen ist. Auch wenn nicht unmittelbar von den Zeugen bestätigt werden konnte, dass die Mutter auch just den Stecker des Routers entfernt hat, hat die Kammer doch – vor dem Hintergrund der detaillierten Schilderung zum üblichen Verhalten der Mutter – keine Veranlassung anzunehmen, dass dies nicht geschehen sein könnte. Auch hat die Kammer keine objektiven Umstände feststellen können, die durchgreifende Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussage begründen würden....
Bleibt festzuhalten: Die ganze Familie in Urlaub und Router und Computer vom Stromnetz getrennt. Da bleibt nicht viel mehr als die Abweisung der Klage mangels Täterhaftung und mangels Störerhaftung.

Gleichzeitig fragt man sich bei derartiger Konstellation allerdings rasch: Wie verlässlich oder wie fehlerhaft sind die "Ermittlung" der dynamischen IP-Adresse, deren Zuordnung zum vermeintlichen Anschlussinhaber und die Prüfung der vermeintlich festgestellten Datei-Identität? Sind die Ermittler urlaubsreif?

Samstag, 13. Oktober 2012

Filesharing-Abmahnung und Familie: Keine Sippen-Störerhaftung im Urheberrecht



Langsam wird die Luft für die Abmahnungs-Lobby immer dünner. Fragwürdige Anti-Piracy-Ermittlungssoftware, kritische Trojaner-Diskussionen, Schelte an Abzock-Mentalität und Pranger-Taktik, differenzierte Signale vom Bundesverfassungsgericht und nun zunehmende Begrenzung der in den Filesharing-Abmahnungen ausufernd ge- oder missbrauchten Störerhaftung für Familien-Angehörige nun auch durch ein Urteil des viel gescholtenen Landgerichts Köln.

Die zur pauschalen Unterstellung ausgeartete Vermutung, dass der Internetanschlussinhaber vermeintlich festgestelltes und vermeintlich dokumentiertes illegales Filesharing und daraus abgeleitete Rechtsverletzungen angeblich täterschaftlich begangen, unterstützt, zugelassen oder in verantwortlicher Weise als sogenannter Störer ermöglicht habe, geht bei einem von einer Familie genutzten Internetanschluss zunehmend ins Leere.

Die Kollegen Ferner und Stadler befassen sich erhellend mit der aktuellen Entscheidung der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 11.09.2012 (33 O 353/11), das seine klageabweisende Entscheidung m. E. differenziert und überzeugend begründet – ohne Diskrepanz zum Urteil des Ersten Zivilsenats des BGH vom 12.05.2010 (I ZR 121/08) – Sommer unseres Lebens – und im Einklang mit der im LG-Urteil umfangreich zitierten aktuellen Rechtsprechung des OLG Köln vom 16.05.2012.

Der demgegenüber für einige als Alarm und Rückschlag empfundene, recht rechteinhaber-freundliche BGH-Beschluss vom 19.04.2012 (I ZB 80/11) betrifft nicht Fragen der Täter- oder Störerhaftung, sodass man m. E. durchaus optimistisch sein darf in Richtung auf eine zunehmende auch höchstrichterliche Tendenz, mit einer ausufernden Filesharing-Haftung kritischer und sachgerechter umzugehen.

Hoffnung macht dabei auch der Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21.03.2012 (1 BvR 2365/11), in dem es zwar primär um verfahrensrechtliche und verfassungsrechtliche Bewertungen geht, in dem  die höchsten deutschen Richter allerdings zwischen den Zeilen (und mit Beschlusszitaten des OLG Frankfurt) ziemlich deutlich gezeigt haben, mit welchen Bewertungen zur Störerhaftung man in Karlsruhe “sympathisiert”.

Die neuen richterlichen Bewertungs-Tendenzen sind dabei durchaus kein Freibrief für sanktionslose illegale Rechtsverletzungen oder unsubstantiiertes bzw. ungeschicktes Verteidigungsvorbringen, allerdings auch keineswegs als "Lästigkeits"-Reaktion der Richterinnen und Richter ob der zunehmenden Klagehäufigkeit nach erfolglosen Filesharing-Abmahnungen abzutun, sondern entsprechen vielmehr sachgerecht und sauber subsumierend den geltenden gesetzlichen Regelungen aus dem Urheberrecht, dem Delikts- und Haftungsrecht sowie dem Verfassungsrecht. Pauschale Sippenhaft zu Lasten ganzer Familien war und ist mit dem geltenden Recht nicht in Einklang zu bringen.

Eine bloße Filesharing-Vermutung gegenüber einer mit Internetanschluss ausgestatteten Familie macht noch keinen Abmahnungs-"Sommer".

Samstag, 15. September 2012

Filesharing-Abmahnung: Das Geschäft mit der kleinen und großen Lüge

mit Update vom 29. September 2012

Lügen haben kurze Beine, in unzähligen Filesharing-Abmahnungen aber dennoch bereits eine lange - und ärgerliche - Tradition. Das artet in vielen Fällen sogar in betrügerische Machenschaften aus. Selbstverständlich agieren nicht alle Abmahner in jedem Fall mit Lug und Trug. Nachdem allerdings nach meiner Wahrnehmung gerade im laufenden Jahr Abmahnungen mit unwahren Behauptungen, vollmundigen Verdrehungen und mit der unseriösen Verbreitung falscher Eindrücke zunehmen,

hier die 12 dreistesten Abmahnungs-Bluffs:


  1. Das angegebene Musik-, Film- oder Software-Produkt existiert gar nicht bzw. der genannte Rechteinhaber ist nicht Anspruchsinhaber bzw. der als solcher ausgewiesene Rechtsanwalt ist nicht bevollmächtigt oder - in ganz krassen (Fake-)Fällen - besitzt gar keine anwaltliche Zulassung.
  2. Die vermeintlichen "Ermittlungsergebnisse" eines angeblich tätig gewordenen Anti-Piracy-Unternehmens mit angeblich dem Abmahnungsempfänger zuzuordnender IP-Adresse und angeblich sicher protokollierten und archivierten sowie angeblich sicher zuzuordnenden Downloads und Filehashwerten existieren nicht bzw. weisen nicht die behauptete eindeutige und revisionssichere Qualität auf.
  3. Es wird fälschlicherweise behauptet, der Bundesgerichtshof habe mit Urteil vom 12.05.2010 entschieden, dass der Inhaber eines Internetanschlusses für alle diesem Internetanschluss zuzuordnenden illegalen Filesharing-Vorgänge Schadensersatz zahlen muss.
  4. Es wird fälschlicherweise behauptet, der BGH habe mit dem gleichen Urteil zur Frage der sogenannten Störerhaftung entschieden, dass ein Internetanschlussinhaber für illegales Filesharing seiner Familienangehörigen oder sonstiger Nutzer seines Interetanschlusses haftet.
  5. Es wird der rechtlich falsche Eindruck erweckt, der Inhaber bzw. die Inhaberin des Internetanschlusses müsse angeblich beweisen, dass er nicht selbst illegales Filesharing betrieben hat.
  6. Es wird der rechtlich falsche Eindruck erweckt, der Inhaber des Internetanschlusses müsse angeblich zur eigenen Entlastung den wirklichen Filesharing-"Täter" ermitteln und benennen.
  7. Es wird der rechtlich falsche Eindruck erweckt, ein vorliegender gerichtlicher Gestattungs-/Auskunfts-Beschluss nach § 101 UrhG belege angeblich alle die vermeintlichen Ansprüche gegen den Abmahnungsempfänger begründenden Voraussetzungen.
  8. Es wird der rechtlich falsche Eindruck erweckt, eine Abänderung der zur Unterschrift vorgelegten strafbewehrten Unterlassungs- und Anerkennungserklärung führe angeblich zur Unwirksamkeit der außergerichtlichen Erklärung und damit zu teuren Unterlassungsklagen.
  9. Es wird der rechtlich falsche Eindruck erweckt, der Streitwert für Abmahnungen und Klagen beispielsweise im Zusammenhang mit einem einzigen Musiktitel betrage 10.000,00 Euro oder mehr.
  10. Es wird der falsche Eindruck erweckt, es gäbe angeblich bereits in diversen Klageverfahren gerichtlich eingeholte Sachverständigen-Gutachten, die die angeblich gerichtsfeste Qualität der Crawler-Protokolle und deren Ergebnisse bestätigten, was ebenfalls unwahr ist.
  11. Es wird der falsche Eindruck erweckt, eine Fristverlängerung gegenüber einem vom Abmahnungsempfänger beauftragten Anwalt oder eine Verhandlung über Betragshöhen komme nicht in Betracht. Stattdessen würde unmittelbar nach Ablauf der gesetzten Frist sofort eine gerichtliche einstweilige Verfügung gegen den Adressaten der Abmahnung beantragt.
  12. Es wird behauptet, alle sachverhaltlichen, technischen und rechtlichen Gegenargumente des bzw. der Abgemahnten seien untaugliche Schutzbehauptungen, technische und rechtliche Fehleinschätzungen sowie ... Lügen.
Aus Anlass der außerordentlich engagierten Kommentare zu diesem Beitrag hier nun als

Update 

vom 29.09.2012 eine weitere Ziffer

   13.  Es werden falsche Eindrücke erweckt über angeblich für die jeweilige Abmahnung geltende anwaltliche Kosten, Kostenberechnungen, Kostenrechnungen, (fehlende) Kostenvereinbarungen, Kostenzahlungen und/oder Kostenerstattungspflichten.

Freitag, 17. August 2012

Wie die richtigen Fragen falsche Filesharing-Abmahnungen entlarvend beantworten

Wenn man nach Erhalt einer Abmahnung ratlos - und nicht selten verzweifelt - ist, geben häufig schon einige zielorientierte Fragen die richtigen Antworten.



Nach einer Filesharing-Abmahnung
sitzt man oft zwischen den Stühlen.

Ein Fall, wie er hunderttausendfach vorkommt:

In einer im Briefkasten vorgefundenen Abmahnung werden erhebliche rechtliche Konsequenzen angedroht, weil vermeintlich das Urheberrecht bzw. die Verwertungsrechte des Abmahners verletzt wurden. Der Adressat soll angeblich nachweislich illegal in Online-Tauschbörsen fremde Musik-, Film- oder Software-Werke down- und insbesondere upgeloadet haben.

Gefordert werden die Abgabe einer mit Vertragsstrafen sanktionierten unangemessenen Unterlassungserklärung sowie die Zahlung von überhöhtem Schadensersatz und fragwürdigen Anwaltskosten - zumeist "großzügig" und in nicht nachvollziehbarer Weise zusammengefasst zu einem "entgegenkommenden Vergleichsbetrag".


Was tun?

 

Der durch die Abmahnungspost erzeugte Stress lässt die Abmahnungsadressaten häufig keinen klaren Gedanken fassen. Dabei führen bereits die richtigen Fragestellungen oft zu geeigneten Hilfestellungen.

  1. Enthält das Abmahnungsschreiben tatsächlich durchgreifende Schuldnachweise? Warum werden Internetanschlussinhaber ohne Verschuldensnachweis kriminalisiert, obwohl eine Anschluss-Inhaberschaft keinen Tatnachweis darstellt?
  2. Warum werden für zweifelhafte isolierte "Rechte" zur Verwertung von Musik- oder Filmwerken in P2P-Systemen bzw. Online-Tauschbörsen allein zu diesem Zweck Lizenzen an extra zu diesem Zweck gegründete Gesellschaften (GmbH, Ltd. etc.) vergeben und dem Lizenznehmer damit das Generieren von Abmahnungserlösen erst ermöglicht?
  3. Warum erzielen einige "Rechteinhaber" mehr Geld mit Filesharing-Abmahnungen als mit den den Abmahnungen zugrundeliegenden "Werken"?
  4. Warum gibt es Rechtsanwälte, die in der Abmahnung angebliche Kostenerstattungsansprüche vorspiegeln, die - zumindest in der angegebenen Höhe - tatsächlich dem Abmahnenden gar nicht in Rechnung gestellt werden und lediglich der fingierten Forderungsbegründung gegenüber dem Abmahnungsempfänger dienen?
  5. Warum werden in vielen Filesharing-Abmahnungen völlig überhöhte und unrealistische Schadensbeträge beziffert - unter unverhältnismäßiger und dramatisierender Fehlinterpretation der Grundsätze der Lizenzanalogie?
  6. Warum wird in vielen Filesharing-Abmahnungen nicht ausreichend deutlich zwischen Täterhaftung und Störerhaftung differenziert?
  7. Warum machen viele Abmahner aus der in ihren Ausprägungen ohnehin recht umstrittenen Störerhaftung desjenigen, der einen Internetanschluss angeblich nicht angemessen und zumutbar sichert und überwacht, ohne gesetzliche Grundlage quasi eine "Halterhaftung für Internetanschlüsse"? 
  8. Warum ignorieren viele Abmahner die tatsächliche und rechtliche Sondersituation bei Hotspots?
  9. Warum versuchen viele Abmahn-Kanzleien, die Unterschiede zwischen der - ebenfalls in ihren Ausprägungen umstrittenen - sekundären Darlegungs- und Beweispflicht zu ignorieren und zudem damit eine vermeintlich primäre Darlegungs- und Beweislast des Abgemahnten vorzutäuschen?
  10. Warum verunglimpfen große Teile der Abmahnungsbranche alle kritischen Darlegungen zur Fragwürdigkeit einiger Recherche- und Dokumentierungs-Techniken und -Methoden als pauschale Schutzbehauptungen (z. B. nicht revisionssichere Protokollierung und Archivierung durch Crawling-Unternehmen, Zweifel bzgl. IP-Adresse, Zeitstempel oder Hashwert, Hinweise auf die Möglichkeit durch Rootkits verschleierter Trojaner-Angriffe, aber auch Klarstellungen darüber, dass ein "Knacken" von Verschlüsselungen bzw. Passwörtern letzendlich nicht sicher vermeidbar ist und es zudem Grenzen der Kontrolle von Familienangehörigen oder Mitbewohnern gibt)?
  11. Warum arbeitet die Abmahnungsbranche z. T. mit bewussten Einschüchterungen und fragwürdigem Psychostress (z. B. mit Platzierung der Abmahnungspost zum Wochende, mit kurzen Fristsetzungen, mit aus dem Zusammenhang gerissenen und/oder veralteten Urteilszitaten, mit unverständlicher Fachterminologie, wiederholten und unrealistischen Drohkulissen etc.)? Sind die selbstsicheren und teilweise selbstgerechten Darlegungen im Abmahnungsschreiben wirklich so unumstößlich?
  12. Warum versuchen viele Abmahner, unangemessene und den Abgemahnten in seinen Rechten beschneidende strafbewehrte Unterlassungserklärungen zu erlangen?
  13. Warum wird diese Praxis von einigen Gerichten (insbesondere unterer Instanzen, wobei allerdings auch höchstrichterliche Rechtsprechung manchmal nicht weniger kritikwürdig ist) verkannt oder sogar mitgetragen, insbesondere wenn der oder die Abgemahnte ohne anwaltliche Verstärkung den prozessualen Hürden und Fallen (Sach- und Rechtsvortrag, Substantiierungspflicht, Beweisanträge, Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel etc.) hilflos ausgesetzt ist?

In vielen Fällen gilt:

Diese Fragen zu stellen heißt, sie bereits ansatzweise zu beantworten. Leider bleiben die Fragen allerdings zumeist und bezeichnenderweise von den Abmahnern unbeantwortet bzw. ignoriert. Vielleicht geben die im obigen Blog-Post vorgenommenen Verlinkungen des Verfassers noch etwas weitergehende Antworten.

Montag, 6. August 2012

Einbahnstraße in die Abmahnung - Über Filesharing-Verkehr beim Amtsgericht München (3)

Teil 3:

Der Gutachter soll die "Messung" vom Filesharing-"Blitzer" prüfen

 - mit Update vom 09. Februar 2013 -


Jetzt kommt verkehrs-technischer Sachverstand vom Sachverständigen: Das Amtsgericht München nimmt die Ermittlungssoftware der Firma ipoque GmbH aufs Korn.

Amtsgericht München Pacellistraße
Was bisher geschah:
Es geht um die Filesharing-Abmahnung von mehreren (Hör-)Buch-Verlagen.

Diese fordern vom verklagten Internetanschluss-Inhaber  urheberrechtlichen Schadensersatz und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnungskosten - auf der Basis angeblicher Recherche-Ergebnisse aus dem Jahre 2007. Das engagierte Bemühen des Gerichts, den "verfahrenen" Streit um vermeintlichen Filesharing-Verkehr des Beklagten durch einen Zahlungs-Vergleich zu beenden, scheiterte - obwohl das Gericht den Inhaber eines Internetanschlusses haftungsmäßig mit dem Halter eines PKWs zu vergleichen versuchte.

Das Gericht führte dem verklagten Internetanschluss-Inhaber vermeintlich dramatische Beweislasten vor Augen. Es verwechselte dabei m. E. "tatsächliche Vermutungen" auf der einen Seite mit "gesetzlichen Vermutungen", "Tatsachenvermutungen" und "Rechtsvermutungen" auf der anderen Seite. Bei letzteren muss der damit Belastete den Beweis des Gegenteils erbringen, was bei tatsächlichen Vermutungen gerade nicht der Fall ist.
Das Gericht erklärte, es sei noch nie festgestellt worden, dass seitens des Recherche-Unternehmens nicht ordnungsgemäß ermittelt worden sei, woraufhin der Anwalt des Beklagten anmerkte, dass dem Amtsgericht München nach seiner Kenntnis überhaupt noch kein Sachverständigengutachten zur Frage konkreter ordnungsgemäßer P2P-Recherche und ordnungsgemäßer Dokumentierung und Archivierung vorliegt, sondern vielmehr erst in jüngerer Zeit entsprechende Gutachterkosten-Vorschüsse seitens des Gerichts von der klagenden Rechte-Industrie angefordert worden sind.

Und so ist nun der folgende Beweisbeschluss ergangen (orthographische und interpunktionelle Fehler werden mitzitiert):

"I.         Es ist Beweis zu erheben über die Behauptungen der Klageparteien,


1. 
In den in der Anspruchsbegründung vom 01.02.2012 auf S. 11 und 12 (Bl. 20/21 der Akte) aufgeführten Zeiträumen protokollierte die Software "PFS", der Firma ipoque GmbH, dass ausgehend von einem Rechner, der über die jeweils dort aufgeführte IP Adresse mit dem edonkey Netzwerk verbunden war, jeweils eine Datei mit dem jeweils dort genannten File-Hash-Wert vervielfältigt und zum Download angeboten wurde.

2.
Die jeweiligen Dateien, die in der Anspruchsbegründung vom 01.02.2012 auf S. 11 und 12 (Bl. 20/21 der Akte) genannt sind, mit den jeweiligen File-Hash-Werten enthielten die jeweils aufgeführten Hörbücher/Werke:

"Unsichtbare Spuren", File-Hash: ...
"Nacht über den Wassern", File-Hash: ...
"Das Methusalem-Komplott", File-Hash: ...
"Der Schwarm", File-Hash: ...
"Eine Billion Dollar", File-Hash: ...
"Eisfieber", File-Hash: ...
"Die Pfleiler der Macht", File-Hash: ...

durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu I.

 II.         Zum Sachverständigen wird bestimmt:

                   ...
                   ...
                   ... München



 III.        Der Klagepartei wird aufgegeben den Netzwerkmitschnitt der hier gegenständlichen Verletzungsdaten dem Sachverständigen zur Erstattung seines Gutachtens auszuhändigen.


 IV.        Die Klagepartei hat einen Auslagenvorschuss von 6.000,00 € einzuzahlen.
Die Versendung der Akten zum Sachverständigen wird davon abhängig gemacht, dass bis spätestens 14.08.2012 die Einzahlung des Auslagenvorschusses dem Gericht nachgewiesen wird."


Der gerichtlich bestimmte Sachverständige aus München zeichnet sich durch ausgewiesene Expertise und anscheinend gründliche Vorgehensweise aus - ohne Angst vor längeren Fahr- oder Flugstrecken. Der Kollege Stadler berichtet aus einem parallelen Filesharing-Klageverfahren beim Amtsgericht München, wo derselbe Sachverständige für die vergangene Woche einen Ortstermin in den Räumlichkeiten des Recherche-Unternehmens angesetzt hat und das Amtsgericht München durch Beschluss vom 25.07.2012 dem abgemahnten Beklagten gestattet hat, eine sachkundige Person vom Chaos Computer Club quasi als Beifahrer zum Ortstermin nach Leipzig mitzunehmen.

Die Einbahnstraße in die Filesharing-Abmahnung muss also nicht unbedingt eine Sackgasse sein. Das gilt übrigens auch deshalb, weil es auf die Klärung der oben zitierten Beweisfragen und damit das Ergebnis des aktuell in Auftrag gegebenen Sachverständigen-Gutachtens nicht einmal allein streitentscheidend ankommen muss.

Fortsetzung folgt.


Update vom 09. Februar 2013:

Nun konnte doch noch - mit viel Geduld und konsequenter Verhandlung - eine "recht und billige" außergerichtliche Lösung erzielt werden - unter angemessener Berücksichtigung der in diesem Fall vorgebrachten sachverhaltlichen, technischen und rechtlichen Argumente und weit unterhalb der Abmahnungs- und Klageforderungen - auch ohne teure sachverständige Untersuchung technischer Fragen. 

In einigen Parallelverfahren liegen allerdings nach meinem Informationsstand zwischenzeitlich Sachverständigengutachten vor, deren Inhalte und Bewertungen aber wohl noch nicht vollständig außer Streit stehen und im Übrigen ja ohnehin nicht alle entscheidungserheblichen Fragen klären können.



Zuvor im zweiten Teil der Filesharing-Verkehrs-Glosse:

Der Beweislast(er)-Schwerverkehr


Und davor im ersten Teil der Filesharing-Verkehrs-Glosse:

Auto-Routen und WLAN-Router - Halterhaftung und Störerhaftung bei Filesharing

Samstag, 30. Juni 2012

Einbahnstraße in die Abmahnung - Über Filesharing-Verkehr beim Amtsgericht München (2)

Teil 2:

Der Beweislast(er)-Schwerverkehr


Ein sommerlicher Tag in München, auch an der Pacellistraße 5, in der 8. Etage des Justizgebäudes. Das Bayerische Amtsgericht tagt immer noch.

Amtsgericht München Pacellistraße
Was bisher geschah:
Es geht um die Filesharing-Abmahnung von mehreren (Hör-)Buch-Verlagen. Diese fordern vom verklagten Internetanschluss-Inhaber  urheberrechtlichen Schadensersatz und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnungskosten - auf der Basis angeblicher Recherche-Ergebnisse aus dem Jahre 2007.
Das Gericht hatte mit bemerkenswerter, die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften deutlich überschreitender Sprech-Geschwindigkeit in den Sach- und Streitstoff eingeführt und bemühte sich erkennbar darum, möglichst innerhalb der zunächst angesetzten 30-minütigen Verhandlung den "verfahrenen" Streit um vermeintlichen Filesharing-Verkehr des Beklagten durch einen Zahlungs-Vergleich zu beenden. Die Vergleichsbereitschaft des Internetanschluss-Inhabers sollte mit einem - nach den Worten des Gerichts - "laienhaften" Vergleich, und zwar einem Vergleich vom Halter eines Autos mit dem Inhaber eines Internetanschlusses, beflügelt werden: Das sei schließlich "wie beim Auto". Wenn der Beklagte sein Auto von einem Anderen im Straßenverkehr benutzen lasse, müsse er als Halter schließlich auch haften, wenn mit dem Auto ein Schaden verursacht würde, auch wenn er selbst nicht gefahren sei.

Die - ohnehin und insbesondere auch in ihren konkreten Anwendung - umstrittene Störerhaftung ist allerdings nicht wirklich seriös mit der verkehrsrechtlichen Halterhaftung vergleichbar: Für Internetanschlüsse gibt es (noch) keine Halterhaftung gem. StVG oder gem. anderer gesetzlicher Vorschriften. Die von der Rechtsprechung entwickelte urheberrechtliche Störerhaftung verlangt - anders als die Halterhaftung - zudem die Verletzung von zumutbaren Prüfpflichten. PKW und Router: Ein verkehrs- und urheberechtlich vollkommen "verunglückter" Vergleich also. Der LAN-/WLAN-Router ist eben kein PKW. 
Da hilft es auch nichts, dass die Prozessbevollmächtigten der klagenden Verlage wieder mal zu zweit bei Gericht erscheinen, also praktisch mit "Beifahrer" - oder man könnte auch, humorvoll und nett gemeint, sagen: Wie "Waldorf und Statler".
Der engagierte Amtsrichter meinte dann, es gehe ihm darum, "gewisse Wahrscheinlichkeiten nachzufragen."

Damit sind wir beim Thema "Beweislast im Filesharing-Verkehr" angekommen:
Das Gericht führte dem verklagten Internetanschluss-Inhaber dramatische Beweislasten vor Augen, m. E. so dramatisch wie falsch: Tatsächlichen Vermutungen dürfe nicht mit anderen Vermutungen begegnet werden. Unwägbarkeiten gingen zu Lasten des Internetanschluss-Inabers. Ja, dann ist ja alles klar. Keine Chance für Internet-User.

Nein. Das Gericht verwechselt anscheinend "tatsächliche Vermutungen" auf der einen Seite mit "gesetzlichen Vermutungen", "Tatsachenvermutungen" und "Rechtsvermutungen" auf der anderen Seite. Bei letzteren muss der damit Belastete den Beweis des Gegenteils erbringen, was bei tatsächlichen Vermutungen gerade nicht der Fall ist. 
Insoweit werden gleichzeitig - wie so oft - eingeschränkte Beweisführungspflichten mit weitergehenden Beweislasten verwechselt.

Ist das der gerichtliche Filesharing-Beweislaster-Schwerverkehr oder der schwer lastende Verkehrsbeweis bei Filesharing-Gerichten oder sind das die verkehrten Gerichtslasten bei schweren Filesharing-Beweisen? Es gipfelte jedenfalls - wie gesagt - in der gerichtlichen Kundgabe: "Unwägbarkeiten gehen zu Lasten des Beklagten."

Das Gericht erklärte, nach seiner Kenntnis sei noch nie festgestellt worden, dass seitens des Recherche-Unternehmens nicht ordnungsgemäß ermittelt worden sei. Der Anwalt des Beklagten wies darauf hin, dass dem Amtsgericht München nach seiner Kenntnis überhaupt noch kein Sachverständigengutachten zur Frage konkreter ordnungsgemäßer P2P-Recherche und ordnungsgemäßer Dokumentierung und Archivierung vorliegt, sondern vielmehr erst in jüngerer Zeit erstmalig entsprechende Gutachterkosten-Vorschüsse seitens des Gerichts von der klagenden Rechte-Industrie angefordert worden sind. Aussagekräftige Gutachten liegen bis heute nicht vor, schon gar nicht zu Lasten von Abmahnungsempfängern.

Auch die beiden anwesenden Rechtsanwälte der klagenden (Hör-)Buch-Verlage konnten nichts Gegenteiliges darlegen.
Ein Vergleich - bis auf den zwischen PKW und Internet-Router - ist in dieser Angelenheit bisher nicht zustande gekommen. Zu viel verkehrter Filesharing-Verkehr zu Lasten des Beklagten.

Das verfahrene Verfahren geht weiter.

Fortsetzung folgt.


Und zuvor im ersten Teil der Filesharing-Verkehrs-Glosse:

Auto-Routen und WLAN-Router - Halterhaftung und Störerhaftung bei Filesharing

Mittwoch, 27. Juni 2012

Einbahnstraße in die Abmahnung - Über Filesharing-Verkehr beim Amtsgericht München

Teil 1:

Auto-Routen und WLAN-Router - Halterhaftung und Störerhaftung bei Filesharing


Ein sommerlicher Tag in München, auch an der Pacellistraße 5, in der 8. Etage des Justizgebäudes. Das Bayerische Amtsgericht tagt:

Amtsgericht München Pacellistraße
Keine krachlederne Verhandlungsführung - nein, eine von erkennbarer Aktenkenntnis des promovierten Richters geprägte Einführung in den Sach- und Streitstand. Es geht um die Filesharing-Abmahnung von drei (Hör-)Buch-Verlagen, aus denen mittlerweile zwei Verlagskonzerne geworden sind. Diese fordern Schadensersatz und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnungskosten vom Beklagten, der auf der Basis angeblicher Recherche-Ergebnisse aus dem Jahre 2007 der Verletzung von Urheberrechten per Online-Tauschbörse verdächtigt wird.

Der Verkehrsfunk von Radio Arabella hatte im Taxi vom Münchener Flughafen in diePacellistraße eine freie Fahrt und keine Verkehrsstörungen vorhergesagt. Und so war es auch. Bis zur pünktlichen Ankunft bei Gericht.

Die sehr konzentrierte richterliche Zusammenfassung der  zuvor schriftsätzlich anwaltlich gewechselten Standpunkte erfolgte in einer bewundernswerten gerichtlichen Sprech-Geschwindigkeit, die - gefühlt - die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften deutlich überschritten hat. Wäre der Beklagte nicht zuvor eingehend von seinem Anwalt über alle relevanten materiell-rechtlichen und verfahrens-rechtlichen (das hat manchmal auch mit "sich verfahren" zu tun ;-) Gesichtspunkte eingehend unterrichtet worden, hätte der juristische Laie der Verhandlung wohl kaum folgen können - weder zu Fuß, noch mit dem Auto. Für den Verhandlungstermin nach über 100 anwaltlichen Schriftsatzseiten (zzgl. umfangreicher Anlagen) waren allerdings auch nur 30 Minuten angesetzt. Das erwies sich als knapp bemessen. Aber zunächst einmal Schluss mit dem Thema "Raserei" in "Zone 30".


Auf konkretere Sachverhalt-Details wird evtl. zu späterer Zeit einzugehen sein. Hier im ersten Teil dieser Filesharing-Verkehrs-Glosse soll es zunächst um einen Gesichtspunkt gehen:

Die Halterhaftung für Autos.

Das Gericht führte - wie in München insbesondere bei Filesharing-Verfahren (nomen est omen, s.o.) bewährt - intensive Vergleichsgespräche, woran grundsätzlich natürlich nichts auszusetzen ist. Die Mandanten sollten auch prozess-ökonomische Überlegungen nie außer Acht lassen und es ist eine der vornehmsten Aufgaben des Gerichts, gerade in der Güteverhandlung den Versuch der einverständlichen Lösung einer evtl. verfahrenen (!) Streit-Situation zu unternehmen.

Im hier betroffenen Streit um Täterhaftung und Störerhaftung beim vermeintlichen Filersharing-Verkehr wagte das Gericht allerdings eine Vergleichs-Förderung und -Forderung mit einem - nach eigenen Worten - "laienhaften" Vergleich, und zwar einem Vergleich vom Halter eines Autos mit dem Inhaber eines Internetanschlusses: Das sei schließlich "wie beim Auto". Wenn der Beklagte sein Auto von einem Anderen im Straßenverkehr benutzen lasse, müsse er als Halter schließlich auch haften, wenn mit dem Auto ein Schaden verursacht würde, auch wenn er selbst nicht gefahren ist.

Das diese Beispiel nicht nur ein schlechtes, sondern ein sehr schlechtes Beispiel zur Darlegung bzw. Begründung der Störerhaftung ist, wurde selbstverständlich anwaltlich sofort unmissverständlich vorgetragen - unter anderem unter Hinweis darauf, dass es für Internetanschlüsse (noch) keine Halterhaftung gem. StVG oder gem. anderer gesetzlicher Vorschriften gibt. Entlarvend für eine unangemessene Ausweitung des richterlich entwickelten Rechtsinstituts der Störerhaftung ist das unglückliche oder verunglückte Beispiel allemal. Die Prozessbevollmächtigten der klagenden Verlage waren übrigens wieder mal zu zweit erschienen, praktisch mit "Beifahrer".

Und demnächst im zweiten Teil der Filesharing-Verkehrs-Glosse:

Der Beweislast(er)-Schwerverkehr

Fortsetzung folgt.

Freitag, 1. Juni 2012

Abmahnung für zweierlei Maß: Wenn ein Link Eindruck erweckt - im Blog und bei Gericht



Medienrechtliche Begründungstechnik aus Hamburg in der Kritik

Nach einem heftig diskutierten aktuellen Urteil der Hamburger Pressekammer soll ein Blogger, und zwar der Kollege Rechtsanwalt Markus Kompa, für Inhalte verlinkter Filmdateien als Störer haften. Über medienrechtliche und verfassungsrechtliche Fragen kann und darf heftig gestritten werden - auch bei Gericht und auch von unterschiedlichen Gerichten und gerichtlichen Instanzen. Das Urteil der "fliegenden" Zivilkammer 24 des Landgerichts Hamburg (Az. 324O 596/11) ist allerdings bereits wegen der im Tatbestand und in seinen Entscheidungsgründen enthaltenen Darstellungs- und Argumentationstechnik als denklogisch, verfahrensrechtlich und materiellrechtlich kritikwürdig und unangemessen zu bewerten.

In dem Zusammenhang fallen u. a. die folgenden Handhabungen auf:

1.
Schon im Urteilstatbestand wird man unter Zugrundelegung der vom Kollegen Rechtsanwalt Thomas Stadler mitgeteilten Details dem wirklichen Sachvortrag des beklagten Bloggers nicht gerecht.

Im Tatbestand finden sich einige Angaben über das vermeintliche Vorgehen der Mitarbeiter der WISO-Redaktion bzw. des ZDF anlässlich ihres "Besuchs" und der Durchführung von "Filmaufnahmen, die am 22.9.2010 mit versteckter Kamera in der Münchener Arztpraxis des Klägers" gefertigt wurden. Im richterlich abgefassten Tatbestand befinden sich auch einige Einzelheiten zu vermeintlich richtigen oder falschen Inhalten einer in dem streitgegenständlichen Fernsehbeitrag abgebildeten Presseerklärung der Charité.

Angaben zu diesbezüglichen Kenntnis- oder Erkenntnis-Möglichkeiten des bloggenden Beklagten finden sich im Urteilstatbestand demgegenüber nicht, obwohl anscheinend gegenüber dem Leser des Urteils der Eindruck erweckt werden soll, der beklagte Blogger habe diesbezügliche Detail-Kenntnisse gehabt bzw. haben müssen. Aber vielleicht sollten wir dem Urteil nicht voreilig bestimmte Eindruckerweckungen vorhalten, obwohl es selbst massiv dazu neigt; dazu sofort mehr:

2.
Die in den Entscheidungsgründen enthaltene Formulierung

"Der mit dem Antrag zu Ziffer 2. beanstandete Eindruck, der Kläger habe in seiner Münchener Praxis Patienten Eigenblutpräparate mit nach Hause gegeben, wird durch die Bezugnahme auf eben die Münchener Praxisräume erweckt. Dieser Eindruck hat jedenfalls prozessual als unwahr zu gelten."

ist entlarvend. Dies gilt insbesondere, wenn einerseits im Zusammenhang mit der Frage eines etwaigen "Eindruck Erweckens" die Pressekammer offensichtlich sehr weite und großzügige Auslegungen vorzunehmen bereit ist, andererseits aber Beweisanträge des Beklagten in recht spitzfindiger Manier und in unangemessener Weise sehr eng auslegen möchte:

"Der Beklagte trägt zwar vor, die Behauptung, der Kläger händige Eigenblutpräparate an seine Patienten aus, sei wahr. Eine solche Äußerung ist aber gar nicht streitgegenständlich. Der Kläger beanstandet nicht die pauschale Aussage, er händige Eigenblutpräparate an Patienten aus, unabhängig davon, wo dies erfolgen soll, sondern bezieht sich ausdrücklich auf eine Abgabe in seiner Münchener Arztpraxis. Ob der Kläger also möglicherweise in seiner Salzburger Praxis Eigenblutpräparate Patienten mit nach Hause gibt, ist weder Gegenstand der angegriffenen Berichterstattung noch des Antrags des Klägers. Bereits aus diesem Grund war dem angebotenen Zeugenbeweis des Beklagten nicht nach zu gehen. Auch darüber hinaus ist der Beweisantritt unsubstantiiert, so dass eine Vernehmung der Zeugen auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausliefe. Dies folgt schon aus dem Umstand, dass der Beklagte seine Beweisbehauptung darauf bezieht, dass der "Kläger bzw. dessen Mitarbeiter" die Ampullen an Patienten aushändigten. Der Beklagte lässt in seinem Beweisantritt also selbst offen, ob tatsächlich der Kläger die Eigenblutpräparate den Patienten mit nach Hause gibt. Hier auf  kommt es jedoch gerade entscheidungserheblich an, da nur eine solche Behauptung streitgegenständlich ist."


Das ist nach meiner Auffassung unzulässige Wortklauberei. Hier wird in unerträglicher Weise mit zweierlei Maß gemessen.Was veranlasst das Gericht, einem Beweisantritt zu unterstellen, es gehe darin nicht um die naheliegende streitgegenständliche Auslegungsvariante?

Auch unabhängig von der Frage, welche Eindruckerweckungen man aus medialen Berichterstattungen abzuleiten in der Lage oder Willens ist, beschneidet die nicht sachgerechte Berücksichtigung der Beweisantritte des Beklagten diesen nachhaltig in seinen prozessualen Rechten.

3.
Soweit über die fragliche Existenz eines „Gutachtens“ oder einer „objektiven gutachterlichen Beurteilung“ der Charité zur Wirksamkeit der Therapien des klagenden Krebsarztes gestritten wird, finden sich im erstinstanzlichen Urteil widersprüchliche Ansätze und Bewertungen:

 - „Die in dem Fernsehbeitrag gezeigte Abbildung einer Pressemitteilung der Charité bestreitet ausdrücklich die Existenz zur Wirksamkeit der Therapien.“
 - „Dieser Eindruck wird durch den vom Beklagten verfassten Text, der unterhalb des Videos mit dem ZDF-Beitrag zu sehen ist, nicht revidiert.“
 - Der beklagte Blogger weise dort lediglich darauf hin, dass der umstrittene Krebsarzt „stets mit einem vierseitigen Gutachten der Charité“ … „argumentiere“.

Heißt Distanzierung von verlinkten Inhalten jetzt neuerdings „Revidierung“?
Wie soll ein Blogger sachgerechter mit der kurzen Darstellung von (medienrechtlichen) Streitfällen umgehen, als mit der Erwähnung oder Skizzierung beider Streitpositionen?

Falls ein Blogger dabei ansatzweise eigene Bewertungen einfließen lassen sollte – was im Übrigen m. E. mit eine der vornehmsten Aufgaben eines Bloggers ist (!) – dürfte selbst dies vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen.

Das Hamburger Urteil geht allerdings noch weiter: Es legt sich fest und legt dabei zu Grunde: „Der so erweckte Eindruck ist unwahr.“ In dem Zusammenhang verweist es auf eine „gutachterliche Stellungnahme der Charité zur Wirksamkeit des Arzneimittels Eigenblutytokine in der Tumormedizin.“ Ja, da wird mal wieder mit weniger anspruchsvollen Maßstäben agiert - statt mit der an anderer Stelle manchmal "akribischen" Bedeutungszumessung zu bestimmten Begrifflichkeiten oder Formulierungen: So wird schon mal schnell aus einer schlichten „gutachterlichen Stellungnahme der Charité zur Wirksamkeit des Arzneimittels Eigenblutytokine in der Tumormedizin“ ein „Gutachten der Charité zur Wirksamkeit der Therapien des Dr.  …“ bzw. eine „objektive gutachterliche Beurteilung, welche den Therapieerfolg wissenschaftlich glaubwürdig belegt“, wie es im dritten Klageantrag heißt. Erstaunlich ungenau, wenn man bedenkt, wie genau die Blog-Formulierungen des Beklagten eingegrenzt werden.

4.
Mit zweierlei Maß wird auch dann gemessen, wenn es um die juristisch und prozessual übliche und zulässige Möglichkeit geht, sich im Rahmen seines Vortrages auf den Inhalt konkret beigefügter Texte zu beziehen.

Die erkennende Kammer verweist in ihren Entscheidungsgründen über lange Passagen auf Urteilstexte aus einem parallelen einstweiligen Verfügungsverfahren des klagenden Krebsarztes gegen das ZDF (Az. 324 O 657/10) sowie auf Veröffentlichungen des Bundesverfassungsgerichts, um damit das hier kritisierte Urteil zu begründen. Dem Beklagten wird im gleichen prozessualen Verfahren und mit dem gleichen Urteil demgegenüber das Recht abgesprochen, sich zur Vermeidung von Wiederholungen seinerseits auf den Text der Widerspruchsschrift vom 26.1.2012 aus eben dem vom Gericht im Urteil unter Bezug genommenen Verfahren des Klägers gegen das ZDF (Az. 324 O 657/10) sowie auf den Schriftsatz der dortigen Antragsgegnerin vom 9.3.2012 zu beziehen und sich den dortigen Inhalt zu Eigen zu machen.

Auch dem Antrag des Bloggers, die vorerwähnte Verfahrensakte beizuziehen, wurde seitens des Gerichts nicht entsprochen.

Im Urteil halten es die Richter dennoch für richtig, sich über drei Seiten lang gerade auf den Inhalt des dort gefällten Urteils zur Begründung des hier gefällten Urteils zu beziehen.

5.
Eine Beiziehung der Akten des Parallelverfahrens wäre im Übrigen auch bereits vor dem Hintergrund des prozessualen Grundsatzes der "Waffengleichheit" fair und geboten gewesen. Dies gilt um so mehr, als die Kammer offensichtlich maßgeblich auf Erkenntnisse oder Bewertungen aus dem Parallelverfahren zurückgreifen will.

6.
Soweit die Pressekammer journalistische Recherchen als "Ausspionieren" klassifiziert bzw. abqualifiziert, ist auch eine derartige Urteilssprache entlarvend. Vier Seiten weiter verlangt das Urteil vom Blogger "eigene Recherchen" zu den Inhalten der verlinkten Filmdatei.

7.
Im hier der Kritik ausgesetzten aktuellen Urteil aus Hamburg ist immer wieder von "Praxis", "Praxisräumen", "Arztpraxis" oder "Arztpraxisräumen" die Rede. Eine genauere und eindeutigere Spezifizierung der Räumlichkeiten findet nicht statt, obwohl nach dem - wenn auch im gerichtlichen Urteilstatbestand nicht wiederfindbar - wohl unstreitig gebliebenen Sachvortrag des Beklagten klargestellt wurde, dass die Filmaufnahmen des ZDF-Teams "keineswegs in den Behandlungszimmern stattfanden, sondern in dem für jedermann frei zugänglichenEmpfangsbereich", was für die Qualität des rechtlich zu bewertenden Schutzbereiches nicht unerheblich sein dürfte.

Dies gilt erst recht, falls der klagende Krebsarzt auch selbst mit Bildaufnahmen seines Instituts bzw. des dortigen Empfangsbereichs nach außen öffentlich und werblich in Erscheinung tritt oder trat. Die entsprechenden Räumlichkeiten sind wohl auch grundsätzlich frei zugänglich, was bei der Abwägung etwaiger Persönlichkeitsrechts-Beeinträchtigungen naturgemäß ebenfalls nicht unbeachtet bleiben darf.

8.
Das Urteil lässt einerseits offen, ob der Blogger sich den Inhalt des verlinkten Fernsehbeitrages zu Eigen macht, andererseits heißt es in den Entscheidungsgründen, „dass er sich nicht inhaltlich mit dem Beitrag auseinandersetzt.“ Dennoch bemüht man die „Grundsätze der Störerhaftung“ und verlangt vom verlinkenden Blogger, Links „zu hinterfragen und eigene Recherchen zu unternehmen“. Der Blogger habe „bei dem Betroffenen nachfragen müssen.“ Und was ist mit weiteren Recherchen des Bloggers beim ZDF … und bei der Charité … und vielleicht auch noch bei unbeteiligten Sachverständigen? Und das alles, „um so das Verhalten des Klägers kritisch zu kommentieren“, wie es an weiterer Stelle des Urteils zu dem Blog-Beitrag des Beklagten heißt. Da werde jemand schlau draus. Medienrechtlich und verfassungsrechtlich wird da allerdings wohl so schnell keiner schlau draus.

9.
Dass die Fachkammer bei der Auslegung der bereits abgegebenen strafbewehrten Unterlassungserklärungen des beklagten Bloggers wieder zu m. E. zu engen und zu strengen Auslegungstendenzen neigt, mag an anderer Stelle erörtert werden, wenn es auch ebenfalls ins Bild passt bzw. zu dem schlechten Eindruck einer gerichtlichen Anlegung unterschiedlicher Maßstäbe.

Sonntag, 27. Mai 2012

Ja, ja. Die modifizierte Unterlassungserklärung und andere Überlegungen nach Filesharing-Abmahnung

Oder: Die Geschichte vom Studenten, der alles weiß ...


Der junge Student, der am frühen Nachmittag zu mir ins Büro kam, war bester Laune. Eigentlich hätte er gar nicht vorbeikommen wollen; aber seine Freundin habe ihn dazu gedrängt. Die habe "Angst" - obwohl er sich bestens in der Sache auskenne.

Okay, nun sei er da und ich könne mir "diese Sache" ja mal kurz anschauen. 

Er legte mir einen Umschlag mit anwaltlicher Abmahnungspost und die Kopie eines von ihm gefertigten kurzen Antwortschreibens vor. Er habe bereits "alles Erforderliche" getan - die Unterlassungserklärung "selbstverständlich nur modifiziert" abgegeben und danach - er holte einen weiteren Umschlag aus seiner Mappe - dann ein weiteres Schreiben der gleichen Anwaltskanzlei erhalten. Und heute Morgen wäre noch eine Filesharing-Abmahnung eines anderen Rechtsanwalts im Briefkasten gewesen.

Über das Thema "Online-Tauschbörsen" hatte sich der selbstbewusste junge Mann wirklich bestens informiert. Und auch zur Problematik der massenhaften P2P-Abmahnungen hatte er schon viel im Internet gelesen. 

Im anwaltlichen Beratungsgespräch erörterten wir u. a., wie wann und von wem sein Internetanschluss mit dem LAN-/WLAN-Netzwerk eingerichtet, verschlüsselt und darüber hinaus gesichert worden war. Außerdem erklärte mir der Abmahnungsempfänger, wer sonst noch Zugang zu dem Netzwerk hatte und hat und warum er sich keiner Schuld bewusst sei.

Bei Überprüfung der selbstbewusst abgegebenen "modifizierten" strafbewehrten Unterlassungserklärung musste ich dann doch noch etliche - eigentlich vermeidbare - Fehler feststellen:

  • Die Erklärung war zwar "ohne Anerkenntnis, aber dennoch rechtsverbindlich" abgegeben worden. Dies erfogte jedoch leerformelhaft und ohne optimalere Substantiierung.
  • Ein Ausschluss der Einrede des Fortsetzungszusammenhangs war nicht gestrichen worden.
  • Die Vertragsstrafen-Bewehrung wurde nicht ausdrücklich auf schuldhafte Verstöße beschränkt.
  • Es wurde zur Regelung der Vertragsstrafenhöhe der neue Hamburger Brauch verwendet, allerdings mit auslegbarer Untergrenze von de facto über 5.000,00 Euro.
  • Es wurde bei der Vertragsstrafe nach neuem Hamburger Brauch keine nach der höchstrichterlichen Rechtssprechung zulässige Obergrenze festgelegt.
  • Bei Abgabe der Erklärung hat man keine bewussten Abwägungen dazu vorgenommen, ob und in welcher Weise im konkreten Fall eine eher enge oder eine eher weite Fassung des Verbotstatbestandes sinnvoll und zielführend ist.
  • Die eingegangene, lebenslang gültige Unterlassungsverpflichtung umfasste Verhaltensweisen, die eigentlich gar nicht rechtswidrig sind und deren Verbot schon deshalb unnötig und nachteilig ist.
  • Über evtl. sinnvolle Vorkehrungen zur Vermeidung weiterer Abmahnungen und/oder Vertragsstrafen hat man sich keine konkreten Gedanken gemacht.
  • Es fehlten rechtlich zulässige und gebotene auflösende Bedingungen für die Fälle sich ändernder Gesetzeslage, Rechtsprechung und/oder Sachverhaltserkenntnisse.

Darüber hinaus musste mein Besucher feststellen, dass er sich falsche Vorstellungen über die Haftung für Filesharing gemacht hat; über die sogenannte "Täterhaftung" auf der einen und die sogenannte "Störerhaftung" auf der anderen Seite und über damit auch im Zusammenhang stehende etwaige Ansprüche auf Schadensersatz und Kostenerstattung. 

Zudem zeigte sich der Hobby-Jurist überrascht darüber, wie die Darlegungs- und Beweispflichten in seinem Fall prozessual wirklich verteilt sind. 

Die aktuellen Rechtsprechungstendenzen - u. a. auch vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - waren ihm neu, ebenso wie nähere Darlegungen zu praktischen Taktiken und Handhabungen seitens der unterschiedlichen Abmahnungskanzleien. Selbst in technischer Hinsicht hatte der begeisterte Internet-Freak zu Fragen der IP-Adressen-Ermittlung und der Anti-Piracy-Software doch noch ihm vorher unbekannte Erkenntnis-Lücken.

Ich habe meinem neuen Mandanten empfohlen, seiner Freundin einen Blumenstrauß mitzubringen.

Donnerstag, 17. Mai 2012

P2P-Abmahnung in der Finnen-Sauna: Offenes WLAN und EU-Recht

Finnische Abmahnungs-Sauna: Die Finnen bringen die Abmahn-Lobby in's Schwitzen. Ein dortiges Bezirksgericht gab einer Internet-Anschlussinhaberin Recht und wies eine auf Unterlassung und Schadensersatz gerichtete Filesharing-Klage unter Hinweis auf europäisches Recht ab.

Auf Medienrecht spezialisierte Rechtsanwälte aus Helsinki berichten über einen aktuellen Tauschbörsen-Prozess, in dem das Finnish Anti-Piracy Centre, ein Verband der finnischen Unterhaltungs- und Rechteverwerter-Industrie, die Bewohnerin eines früheren Schulgebäudes angegangen ist.

Den P2P-Vorwürfen liegt ein angeblich 12-minütiger Filesharing-Vorgang vom Juli 2010 zugrunde, der über den unverschlüsselten WLAN-Zugang der Beklagten erfolgt sein soll. Gleichzeitig - allerdings wohl nicht nur 12 Minuten lang - fand auf dem Gelände der früheren Schule eine Sommer-Theater-Veranstaltung statt mit ca. 100 Besuchern. Die Beklagte war zur fraglichen Zeit nicht zu Hause und sollte nun ca. 6.000,00 Euro an die Rechteverwerter zahlen.

Das Gericht stützt seine Klageabweisung maßgeblich auf finnische Umsetzungsgesetze zur E-Commerce-Richtlinie, zur Urheberrechtsrichtlinie sowie zur Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. Die Klägerseite habe eine rechtlich beachtlichen Beweis für eine Beteiligung oder Verantwortlichkeit der Anschlussinhaberin nicht erbracht. Unter Berücksichtigung der vorerwähnten EU-Richtlinien könne die Internet-Anschlussinhaberin nicht allein deshalb für etwaige Urheberrechtsverletzungen Dritter haften, nur weil sie den Internetanschluss nicht verschlüsselt habe.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der klagende und "ins Schwitzen" geratene Anti-Piraterie-Verband wird voraussichtlich Berufung einlegen. Die Anwaltskollegen Ville Oksanen und Lassi Jyrkkiö aus Helsinki wollen erforderlichenfalls eine Entscheidung des EuGH herbeiführen. Das weitere Verfahren ist insbesondere wegen der in der Vergangenheit ausufernden und unverhältnismäßigen Bemühungen der Abmahn-Lobby, das ohnehin zweifelhafte Rechtsinstitut der Störerhaftung inflationär überzuinterpretieren bzw. zu missbrauchen, hochinteressant. Über die diesbezüglich aktuell erfreulich kritische Tendenz des Bundesverfassungsgerichts wurde bereits berichtet. Auch für Hotspots wird der Prozess-Fortgang von großem Interesse sein.

Ich drücke die Daumen und bleibe am Ball.