Sonntag, 30. Januar 2011

Filesharing-Abmahnungen: Quantitäts-Rausch vor Qualitäts-Anspruch? Prozesse ohne wirklich seriöse Prüfung?

Wenn am Fließband teure anwaltliche Abmahnungen wegen vermeintlicher Tauschbörsen-Teilnahme und gerichtliche Auskunftsbeschlüsse nach § 101 Abs. 9 UrhG auf den Weg zu den geschockten Inhabern von Internet-Anschlüssen gebracht werden, scheint mitunter Schlamperei im Spiel zu sein.

Gleich vorweg: Wo massenhaft Urheberrechte massiv verletzt werden, darf - und muss - auch erforderlichenfalls massenhaft abgemant werden.

Die "Initiative Abmahnwahn-Dreipage" hat allerdings beispielsweise Fälle aus Regensburg und Hamburg veröffentlicht, die erneut ernsthafte Zweifel nicht nur an "Ermittlungsergebnissen" von Anti-Piracy-Unternehmen begründen, sondern auch an den richterlichen Plausibilitäts-Kontrollen im Rahmen der mittlerweile massenhaft durchgeführten Auskunftsverfahren. In diesen gerichtlichen Eil-Verfahren werden die Internet-Service-Provider dazu veranlasst, zu den mit teilweise fragwürdigen Zeitstempeln versehenen dynamischen IP-Adressen die persönlichen Daten der angeblich maßgeblichen Anschlussinhaber an die tatsächlichen oder vermeintlichen Rechteinhaber und Abmahner herauszugeben.

Es ist nun schon mehrfach aufgedeckt worden: Teilweise enthalten die in den P2P-Netzwerken ermittelten Dateien die behaupteten Inhalte überhaupt nicht, obwohl der dokumentierte Dateiname eigentlich darauf hinzuweisen scheint und sogar mit dem generierten Hashwert korrespondiert.

Bei genauerer Überprüfung müssen sich die Abmahner - und gfls. auch die den Auskunftsbeschluss erlassende Urheberrechtskammer des Landgerichts - dann Irrtümer und unangebrachte Schnellschüsse vorwerfen lassen. Soweit falsche eidesstattliche Versicherungen durch Mitarbeiter der Log-Firmen vorliegen, stehen sogar strafrechtlich relevante Sachverhalte im Raum.

Dennoch wird in Unmengen von Abmahnungsschreiben weiterhin das hohe Lied von der absoluten Fehlerfreiheit und der hundertprozentigen Verstoß-Gewissheit gesungen und - was fast noch schlimmer ist - es werden angeblich genaueste inhaltliche Sicht- oder Hör-Prüfungen behauptet und gerichtlich beschworen.

Hashwerte waren im Übrigen schon häufiger Anlass auch für kritische gerichtliche Würdigungen.

Gerät die Abmahnungsindustrie immer mehr in Hektik und in eine Art Verfolgungs-Rausch? Leidet zunehmend die Qualität und Seriösität beim "Geschäftsmodells Filesharing-Abmahnung"? Die oben angesprochenen Vorkommnisse, die ständig wachsende Zahl von Filesharing-Abmahnungen in den vergangenen Jahren, der zunehmende Ausbau der anwaltlichen Infrastruktur der Abmahn-Kanzleien und die immer dramatischer werdende Verbreitung von Psycho-Stress zu Lasten von immer mehr Internetnutzern sprechen eine deutliche Sprache.

Samstag, 22. Januar 2011

Domain-Pfändung: Vollstreckungsschutz bei geschäftlicher Internet-Domain

Auch ein Beitrag zur Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit im Blog

Die Pfändung der Internet-Domain nerdcore.de durch Euroweb dürfte einige Domain-Inhaber in Angst und Schrecken versetzt haben. Eine etwas beruhigendere Nachricht für alle Onlineshop-Betreiber und andere Domain-Inhaber, die vielleicht eine Abmahnung erhalten haben oder sonstigen Forderungen ausgesetzt sind und eine geschäftlich und nicht nur privat genutzte Website betreiben:
Wenn eine Internet-Domain als Arbeitsmittel in Betracht kommt und von ihrem Inhaber zur Ausübung seines Berufes benötigt wird, kann sich der Domain-Inhaber gfls. auf Vollstreckungsschutz berufen.
Einer Pfändung  sind nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nämlich nicht unterworfen
die zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände - bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen.

Dem Schuldner sollen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht Gegenstände entzogen werden, die er zur Fortsetzung seiner Erwerbstätigkeit und zur Sicherung seines Lebensunterhaltes braucht. Die betroffenen Gegenstände müssen dabei nach Auffasung des Bundesgerichtshofes - Beschluss vom 28.01.2010, Az. VII ZB 16/09 - nicht unbedingt unentbehrlich sein, der BGH neigt insoweit zu einer eher weiten Auslegung der gesetzlichen Schutzvorschrift.

Da die Domain kein Gegenstand im Sinne des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ist, findet diese gesetzliche Vorschrift allerdings keine direkte, aber - so auch das Landgericht Mönchengladbach mit Beschluss vom 22.09.2004, Az. 5 T 445/04 - eine entsprechende (analoge) Anwendung. Dies hat beispielsweise auch das Landgericht Essen in seiner Entscheidung vom 22.09.1999, Az. 11 T 370/99, nicht ausgeschlossen.


Die gesetzliche Schuldnerschutz-Regelung findet analoge Anwendung für die Betreiber eines Onlineshops, aber auch für andere Gewerbetreibende oder Freiberufler, die im Internet ihre Waren oder Dienstleistungen vorstellen, bewerben und anbieten: Bauunternehmer, Ärzte, Unternehmensberater, Webdesigner, Handwerker, Architekten oder auch Rechtsanwälte und Steuerberater.

Zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Pfändung einer Domain vgl. den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 05.07.2005, Az. VII ZB 5/0.
 
Der wilden Jagd auf Internet-Domains durch Zwangsvollstreckung betreibende Gläubiger dürften allerdings insofern doch oft engere Grenzen gesetzt sein.

Interessant scheint mir in dem Zusammenhang auch der Gesichtspunkt, dass im Rahmen des gesetzlichen Vollstreckungsschutzes nach § 765a ZPO bei betroffenen Bloggern auch die Grundrechte der Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit nach Art.5 Grundgesetz stärker in eine Zulässigkeits- und Schutz-Abwägung einzubeziehen sind. Dass die Grundrechte und die Grundentscheidungen des Grundgesetzes im Rahmen der Zwangsvollstreckung und bei Fragen des Vollstreckungsschutzes insbesondere auch vom Vollstreckungsgericht zu beachten sind, hat das Bundesverfassungsgericht z. B.in seiner Entscheidung vom 16.8.20011, Az. 1 BvR 1002/01, deutlich gemacht. Auch der nicht primär geschäftlich bzw. beruflich agierende Blogger oder die insoweit aktive Bloggerin muss folglich nicht schutzlos sein. In der medialen Außendarstellung dürften die Grenzen zwischen privater und beruflicher Meinungs- und Informationsbildung ohnehin schwer zu ziehen sein.

Abmahnung an Schnellschüsse in gerichtlichen Eil- und Vollstreckungsverfahren

Kommando zurück: Die vermeintlichen Wirkungen der Pfändung der Internet-Domain "nerdcore.de" durch einen nach eigenen Angaben "Full-Service-Internetdienstleister" werden seit gestern Abend wieder rückgängig gemacht und auf den früheren Stand der Inhaberdaten gebracht. Die im Verfahren aufgelaufenen Kosten, die Anlass der Pfändung gewesen sein sollen, sind zwischenzeitlich bezahlt worden. Auch deshalb droht wohl keine weitere Pfändung mehr. Netzpolitik.org berichtet aktuell darüber.

Der Kollege Thomas Stadler bewertet die Rückgängigmachung der Domain-Übertragung unter Berücksichtigung des Beschlusses des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg als fragwürdig.

Fragwürdiger sind allerdings wohl die konkreten Pfändungs-Inhalte bzw. der stattgefundene konkrete Verfahrensgang mit offenen Fragen zu einem ausreichenden rechtlichen Gehör (Grundrecht) des oder der Beteiligten insbesondere im Rahmen der Umschreibung.

Hier zeigt sich mal wieder:

Nicht jeder gerichtliche “Schnellschuss” in Eil- oder Vollstreckungsverfahren entfaltet ohne Rechtsmittel-Einlegung immer sofort klaren faktischen Handlungs- oder Unterlassungs-Zwang … schon deshalb, weil der Inhalt und die Folgen gerichtlicher Verfügungen manchmal nicht ausreichend klar und bestimmt sind. Wie so oft gilt der Grundsatz - nicht nur für den jeweils agierenden Rechtsanwalt: “Much Sorgfalt, aber no panic!”

Freitag, 14. Januar 2011

Zahl der Filesharing-Abmahnungen auch 2010 dramatisch gestiegen - Boomendes Geschäftsmodell mit wachsender Dunkelziffer

Die Jahres-Bilanz 2010 vom Verein zur Hilfe und Unterstützung gegen den Abmahnwahn e.V. liegt vor und nicht wenige Insider gehen davon aus, dass die fundierten Schätzungen um eine noch höhere Dunkelziffer nach oben zu korrigieren sind.

Die in der differenzierten Statistik angegebene Zahl von 575.800 Abmahnungen der Musik-, Hörbuch-, Film- und Porno-Industrie enthält offensichtlich nicht die zunehmende - und vielleicht doch nicht zu vernachlässigende - Zahl von Anwaltskanzleien, die im vergangenen Jahr als abmahnende "Newcomer" im Urheberrecht in Erscheinung getreten sind. Außerdem wird vielleicht auch die Zahl derjenigen Abgemahnten unterschätzt, die sich nicht in einschlägigen hilfreichen Foren melden oder dort zumindest "hereinschauen" (Klick-Zahlen). In anwaltlicher Praxis begegnet man nach meiner Erfahrung einem erstaunlich großen Anteil von hilfesuchenden Mandanten, die nach Erhalt einer oder häufig  mehrer Filesharing-Abmahnungen zwar Anwalts-Seiten "gegoogelt" haben, aber nicht vertiefter in Foren-Seiten eingestiegen sind.

Die Kollegen Jens Ferner und Thomas Stadler weisen auf noch verbliebene Unklarheiten hin im Hinblick auf die Ausgangszahlen des Jahres 2009 und unter Berücksichtigung der enormen Zahl von Auskunftsverfahren nach §101 Abs.9 UrhG (u.a. beim Landgericht Köln).

Das bei der Abwehr von Filesharing-Abmahnungen wiederum dramatisch gestiegene Arbeits- und Mandatsaufkommen des vergangenen Jahres lässt auch mich eher eine Steigerung der Abmahnungszahlen im "gefühlten" Bereich zwischen 50% bis zu 100% vermuten, als lediglich einen Zuwachs von unter 30%. Selbstverständlich lassen sich dabei eigene anwaltliche Wahrnehmungen nicht zwingend hochrechnen. Andererseits dürfen wir wohl davon ausgehen, dass die aktive Abmahnungszunft selbst mit Zahlenangaben eher zurückhaltend agiert, um den rechtlichen und gesellschaftlichen, den gerichtlichen und politischen Gegenwind nicht noch zu verstärken.

Freitag, 7. Januar 2011

"Spiel mir das WLAN-Lied vom Hot-Spot-Tod" - Immer mehr Filesharing-Abmahnungen von Hotels und Internetcafés

In letzter Zeit häuft sich die Abmahnung von gewerblichen Betreibern offener WLAN-Netze wegen vermeintlicher Teilnahme an illegalen Musik- oder Film-Tauschbörsen. Die "Rechteinhaber" versuchen dabei, sich u.a. auf aktuelle BGH- und Landgerichts-Urteile zu stützen. Bei den jüngsten Diskussionen um eine WLAN-Haftung bei Hot Spots (oder Hotspots ;)  erleichtert m. E. - wie so oft - ein Blick in das Gesetz die Rechtsfindung, selbstverständlich ohne damit jeden weiteren Streit vermeiden zu können:


Das Telemediengesetz (TMG) regelt die Haftung eines Diensteanbieters im Telekommunikationsrecht. Als Diensteanbieter gilt gemäß § 2 TMG 

jede natürliche oder juristische Person, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt. 

Zu den Telemedien gehört unzwiefelhaft auch das Internet.
In § 8 Abs. 1 TMG heißt es dann:
 
Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie in einem Kommunikationsnetz übermitteln oder zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich, sofern sie
 1. die Übermittlung nicht veranlasst,
 2. den Adressaten der übermittelten Informationen nicht ausgewählt und
 3. die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben.

Ein Hotspot-Betreiber (egal ob z. B. Hotel, Flughafen, Behörde, Shopping-Center oder Internetcafé) ist grundsätzlich Diensteanbieter i. S. d. Telemediengesetzes, da er anderen seinen Internetzugang zur Verfügung stellt. Ob er dies gewerblich oder zu privaten Zwecken macht, ist für die Anwendung des TMG an dieser Stelle nicht relevant. Der Diensteanbieter haftet, wenn er anderen seinen Webzugang zur Verfügung stellt, nur dann, wenn er Kenntnis von den über seinen Anschluss begangenen Rechtsverstößen hat und nicht etwa generell und immer.

Nach § 7 Abs. 2 TMG besteht auch keine Pflicht des Hotspot-Betreibers, den Webzugang nach rechtswidrigen Benutzungen zu untersuchen bzw. zu kontrollieren oder zu überwachen. Im Gesetz heißt es dazu:

Diensteanbieter im Sinne der §§ 8 bis 10 sind nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.

§ 10 TMG lautet unter dem Titel "Speicherung von Informationen" wie folgt:

Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich, sofern

1. sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben und ihnen im Falle von Schadensersatzansprüchen auch keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird, oder

2. sie unverzüglich tätig geworden sind, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren, sobald sie diese Kenntnis erlangt haben.
Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Nutzer dem Diensteanbieter untersteht oder von ihm beaufsichtigt wird.

Da die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers nach der Rechtsprechung des Senats die Verletzung von Prüfpflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist ...

Der BGH grenzt in dem bisher ersten höchstrichterlichen Urteil zur Filesharing-Haftung die aus seiner Sicht geringere Schutzbedürftigkeit des privaten WLAN-Anschlussinhabers bekanntlich ab vom gewerblichen bzw. geschäftlichen Betreiber eines WLAN-Anschlusses:

Es geht hier nicht um ein Geschäftsmodell, das durch die Auferlegung präventiver Prüfungspflichten gefährdet wäre (vgl. BGHZ 158, 236, 251 f. - Internet-Versteigerung I). Es gelten auch nicht die Haftungsprivilegien nach § 10 TMG und Art. 14 f. der Richtlinie 2000/ 31/ EG über den elektronischen Geschäftsverkehr, die im Falle des Diensteanbieters nach § 10 Satz 1 TMG (Host Provider) einen weitergehenden Unterlassungsanspruch ausschließen.

Dennoch bejaht das Landgerichts Hamburg mit in einem Eilverfahren ergangenen Beschluss vom 25.11.2010, Az. 310 O 433/10, die Verantwortlichkeit eines Internetcafé-Inhabers für Urheberrechtsverletzungen bei Tauschbörsen-Nutzung seitens seiner Kunden mangels Absicherung des WLAN-Netzwerkes durch "geeignete Sicherungsmaßnahmen". Das Hamburger Landgericht übersieht dabei nicht nur die obigen Vorgaben des TMG, sondern auch die nur lückenhaften technischen Möglichkeiten zur zumutbaren Beschränkung der Internet-Zugriffe für die Gäste derartiger Internetcafés oder Hot Spots.

Die Privilegierungen des Telemediengesetzes gelten nach umstrittener, aber zutreffender Ansicht nicht nur für eine etwaige Schadenshaftung, sondern auch gerade für etwaige Unterlassungsverpflichtungen gewerblicher WLAN-Betreiber; das TMG basiert auf der oben erwähnten europäischen  „E-Commerce-Richtlinie“. Nach Auffassung des EuGH darf bei Diensteanbietern im Sinne dieser RL eine Verantwortlichkeit für eine Rechtsverletzung Dritter gerade nicht angenommen werden.

Eine Überwachung der Nutzer von Hot Spots verbietet sich darüber hinaus auch aus verfassungsrechtlichen und strafrechtlichen Gründen. Das Fernmeldegeheimnis beinhaltet ein umfassendes Kenntnisnahmeverbot und schützt sowohl die Inhalte als auch die näheren Umstände der jeweils stattfindenden Telekommunikation der Hot Spot User bzw. Gäste. Zu den geschützten Inhalten gehören Empfangenes und Übermitteltes, Downloads und Uploads.

Es spricht also vieles dafür, dass das offene WLAN in Hotels, Bahnhöfen, Eisdielen und Behörden-Centern trotz aktueller p2p-Abmahnungen nicht ausstirbt. Totgesagte leben länger.