Montag, 31. Mai 2010

Kampf der Kulturen im Urheberrecht, Markenrecht und Wettbewerbsrecht: "FAZ" und "SZ" gegen "perlentaucher.de" vor dem Bundesgerichtshof

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und die "Süddeutsche Zeitung" versuchen nach insoweit beim Landgericht und beim OLG Frankfurt verlorenen Klageverfahren nun in der Revisionsinstanz vor dem I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, dem Internet-Kulturmagazin "perlentaucher.de" die kommerzielle Verwertung sogenannter Abstracts verbieten zu lassen. Am 15.07.2010 steht die mündliche Verhandlung vor dem BGH an.

Auf ihrer angegriffenen Internetseite bietet perlentaucher.de verkürzte Zusammenfassungen verschiedener Feuilletonartikel von bedeutenden deutschsprachigen Zeitungen an. Dies betrifft u. a. in der FAZ und der SZ abgedruckte Originalrezensionen bzw. Kritiken aktueller Buchveröffentlichungen. An den Abstracts erteilt das verklagte Online-Magazin auch entgeltliche Lizenzen zu Gunsten der Internet-Buchshops amazon.de und buecher.de. 

Die Zeitungsverlage wenden sich gegen diese kommerzielle Verwertung der anerkannten Rezensionen im Wege der Weiterlizenzierung an Dritte. Sie nehmen die Beklagte auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz in Anspruch, wobei hinsichtlich des Schadensersatzes lediglich der Feststellungsantrag gestellt wird. 

Landgericht (2/3 O 171/06 und 172/06) und OLG (11 U 75/06 und 76/06) haben die Klagen abgewiesen und eine Verletzung urheberrechtlicher Schutzrechte verneint. Die Abstracts seien freie Benutzungen der Originalrezensionen gem. § 24 UrhG und als solche zulässig. 

Die Verlage hätten auch keine Ansprüche gem. § 14 Abs. 5 und 6 MarkenG. So habe die Beklagte z.B. das Zeichen „FAZ“ nicht markenmäßig benutzt. 

Wettbewerbsrechtliche Ansprüche würden ebenfalls ausscheiden. Insbesondere sei nicht feststellbar, dass die durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Internetnutzer die Abstracts etwa mit den entsprechenden Feuilletonkritiken der Zeitungsverlage verwechselten (§ 4 Nr. 9a UWG). Soweit die Beklagte die Wertschätzung der Originalrezensionen für ihre Internetseite überhaupt ausnutze, sei dies jedenfalls nicht unangemessen i.S. d. § 4 Nr. 9b UWG und urheberrechtlich zudem gestattet. 

Unter Berücksichtigung des aktuell eher liberalen Rechtsprechungstrends des BGH ist wohl - m. E. zu Recht - eine Bestätigung der vorherigen Instanzen zu erwarten. Andernfalls müsste man sicherlich einer weiteren Welle von Abmahnungen und Klageverfahren durch "Beton"- und "Kohle"-orientierte Urheber-Egomanen entgegensehen. Damit sollen Urheber keineswegs ihrer Rechte beraubt werden; gerade im Bereich der Online-Kultur würde uns allerdings etwas mehr fruchtbare Durchlässigkeit, friedliche Koexistenz und gönnende Gelassenheit gut tun. Hinzu kommen die verfassungsrechtlichen Dimensionen, die Rechte ... und Pflichten ... beispielsweise aus Art. 5 und Art. 14 GG - und nicht zuletzt der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit.
Trennlinie, die unterschiedliche Inhalte trennt.

Freitag, 28. Mai 2010

Mit allen Mitteln: Die psychologischen Tricks bei Abmahnung wegen Filesharing

Das Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" funktioniert in größerem und wachsendem Ausmaß seit über fünf Jahren. Ein Rückgang der Auskunftsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG und der danach verbreiteten Abmahnungsschreiben ist - auch nach dem WLAN-Urteil des BGH vom 12.05.2010 - nicht absehbar.

Um es vorweg zu nehmen: Nicht jede Abmahnung ist per se unanständiger "Psycho-Terror".

Bei etlichen Abmahnungs-Pamphleten spielen allerdings gezielte psychologische Strategien der Abmahnungs-Branche eine nicht unbedeutende Rolle, um die Internet-Anschlussinhaber und Abmahnungs-Empfänger subtil zu beeinflussen bzw. unter Druck zu setzen


In der anwaltlichen Praxis tauchen immer wieder insbesondere die folgenden Manöver auf:


 1. Die Abmahnungspost erreicht die Adressaten gehäuft kurz vor dem oder am Wochenende, kurz vor Feiertagen oder während der Ferienzeit, um die Einholung kurzfristiger anwaltlicher Beratung bzw. Hilfe zu erschweren, den etwaigen familiären Zwist zusätzlich zu schüren und den Psycho-Stress noch zu erhöhen.

 2. Das Abmahnungsschreiben wird mit komplexer Fachterminologie gespickt, um zum einen besonders bedeutungsschwangere Eindrücke zu vermitteln und zum anderen eine kritische Auseinandersetzung mit den Abmahnungs-Thesen zu erschweren und zu unterdrücken.

 3. Aus den gleichen Gründen werden zahllose, z. T. veraltete und singuläre Gerichtsentscheidungen benannt und/oder zitiert.

 4. Das Abmahnungsschreiben wird mit den vorbeschriebenen Inhalten und weiterer juristischer Prosa übermäßig aufgefüllt und "verlängert", um auch hierdurch den Lese-Stress für den juristischen Laien zu erhöhen.

 5. Die Diktion der Abmahnung ist sehr entschieden, vielleicht sogar scharf und bedrohlich - unter missverständlicher Vorspiegelung angeblich handgreiflicher extremer Bestrafungs- und Verteuerungs-Risiken.

 6. Eine andere Variante ist die bemüht freundliche, zugewandte Ansprache, die sich vermeintlich vornehmlich um die Interessen des bzw. der Abgemahnten sorgt.

 7. Im Laufe nachfolgender Korrespondenz kann sich die vorbeschriebene Taktik jeweils austauschen oder ändern (nach dem Motto: Wenn es im Guten nicht geht, ...).

 8. Aktuellere, die Rechtsposition des oder der Abgemahnten verbessernde Rechtsprechung wird verschwiegen oder mit zweifelhafter Argumentation als nicht einschlägig deklariert.

 9. Es werden unzutreffende und übertriebene Schadens-Szenarien dargestellt zur "politischen" und klimatischen Rechtfertigung der Abmahnungs-Aktion.

 10. Die vermeintliche Qualität bzw. Wertigkeit des vermeintlich betroffenen Werkes wird unrealistisch übertrieben.

 11. Die unterschiedlichen Voraussetzungen unterschiedlicher urheberrechtlicher Ansprüche ( gerichtet etwa auf Unterlassung, Auskunft, Löschung, Vernichtung, Schadensersatz, Aufwendungsersatz und Kostenerstattung) werden in missverständlicher und/oder unzutreffender Weise vermischt.

 12. Die möglichen bzw. angebrachten technischen und/oder prozessualen Zweifel hinsichtlich der angeblich festgestellten und dokumentierten Recherche-Ergebnisse und deren vermeintliche Konsequenzen werden verschwiegen oder verniedlicht (z. B. bzgl. dynamischer IP-Adresse, Datei-Name, Hash-Werte, Gutachten etc.).

 13. Die im summarischen Verfahren ergangenen landgerichtlichen Beschlüsse nach § 101 Abs. 9 UrhG werden überinterpretiert, als wenn damit praktisch die Verantwortlichkeit der abgemahnten Anschluss-Inhaberin bzw. des abgemahnten Anschluss-Inhabers bereits gerichtlich festgestellt worden ist.

 14. Es werden Streitwerte und Kostenerstattungsbeträge in den Raum gestellt, die mit dem konkreten Fall oft nichts zu tun haben.

 15. Schließlich wird ein "großzügiger" Vergleich mit einem vermeintlich entgegenkommenden Vergleichsbetrag angeboten zur "endgültigen" Erledigung der Angelegenheit und zur Vermeidung von Schlimmerem, insbesondere zur angeblichen Vermeidung ansonsten bevorstehender Gerichtsverfahren (einstweilige Verfügung und/oder Klage), wobei gleichzeitig eine unangemessene und nicht verantwortbare strafbewehrte Unterlassungserklärung vorgelegt wird, die angeblich keinesfalls verändert werden darf.

 16. Der oder die Abgemahnte wird so in diffusen Stress versetzt, der durch knappe Fristsetzung noch erhöht wird.


Dieses Vorgehen gibt erneuten Anlass, im Zusammenhang mit etlichen Filesharing-Abmahnungen die Frage nach der Verhältnismäßigkeit und dem Gebot von Treu und Glauben zu stellen.

Ein besonnener und sachgerechter Umgang mit der Abmahnung und dem Thema "Filesharing", "Tauschbörse" und "P2P" sowie die Einholung kompetenter Hilfe zur Abwehr der Abmahnung und zur etwaigen Abgabe einer im konkreten Fall modifizierten interessengerechten strafbewehrten Unterlassungserklärung soll durch derartige Psycho-Tricks sicher nicht gefördert werden.

Montag, 17. Mai 2010

Anwaltskosten beim Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" als Notgroschen, Unverschämtheit oder Gaunerei?

Der Streit um die Kappung von Anwaltskosten nach § 97 a II UrhG auf der einen Seite und um angeblich oder tatsächlich überhöhte Anwaltskosten bei Filesharing-Abmahnungen auf der anderen Seite wurde durch das WLAN-Urteil des BGH vom 12.05.2010 zusätzlich entfacht.

Bei dieser Auseinandersetzung werden einige Aspekte verdreht bzw. übersehen oder ausgeblendet:

1. Das Problem überhöhter Kosten-Berechnungen im Rahmen von formularmäßigen anwaltlichen Abmahnungen ist nicht ein Problem der überhöhten In-Rechnung-Stellung der die Abmahnungen fabrizierenden Rechtsanwälte gegenüber deren Mandanten (Musik-, Film-, Porno- und Rechteverwertungs-Branchen); der Angriffspunkt ist vielmehr der Umstand, dass in etlichen Filesharing-Abmahnungen vermeintliche Vergütungs-Szenarien angedeutet oder vorgetäuscht werden, die so zwischen den Rechte-Inhabern und deren Anwälten gar nicht vereinbart und gelebt werden, um auf diese Weise irreale Erstattungsansprüche zu generieren zu Lasten der abgemahnten Inhaber von Internet-Anschlüssen.

2. In gleicher Weise vorwerfbar ist dabei die In-Ansatz-Bringung überhöhter Gegenstandswerte, die nicht selten in keinem vernünftigen Verhältnis zum betroffenen Werk und den daraus ableitbaren Interessen des Urhebers oder Rechteinhabers stehen.

3. Die Bagatell-Klausel des § 97 a II UrhG betrifft nicht die Honorar-Rechnung der abmahnenden Rechtsanwälte, sondern lediglich die Höhe der dem Abmahnenden maximal seitens des Abgemahnten zu erstattenden Aufwendungen. Lediglich der Aufwendungsersatz wird auf 100,00 € gedeckelt in den gesetzlich vorgesehenen Fällen

  erstmaliger Abmahnung

  in einfach gelagerten Fällen

  mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung

  außerhalb des geschäftlichen Verkehrs.

4. Soweit einige Abmahner die Deckelung des Aufwendungsersatzes nach § 97 a II UrhG missbilligen als vermeintlich unangemessene Aufbürdung "hängen bleibender" Rechtsverfolgungskosten, werden die oben zitierten engen Geltungsvoraussetzungen übersehen, die "dramatische" Fallkonstellationen wohl eher nicht erfassen. Darüber hinaus entsteht der Eindruck, dem Aufwendungsersatz wird mehr Bedeutung beigemessen als der Verhinderung sich vielleicht dann eben doch nicht derartig dramatisch darstellender, angeblich monokausal durch Filesharing entstehender Vermögenseinbußen. Dass zudem auch Rechteinhaber und Urheber von freierer Netz-Kommunikation profitieren können, soll an dieser Stelle nicht vertiefter thematisiert werden.

5. Der Vergleich mit anderen vergütungspflichtigen Anwaltsmandaten und daraus erwachsenden ungedeckelten Ansprüchen auf Kostenerstattung ist mit Vorsicht "zu genießen". Der Genuss kann schnell im "Halzband" stecken bleiben, wenn man die häufig sehr unterschiedliche Mandats-Struktur, -Organisation und -Strategie bedenkt und die formularmäßige, automatisierte und massenhafte Handhabung und Abwicklung von Teilen der aktuell agierenden "Abmahnungs-Industrie" in die Bewertung einbezieht - unbeschadet des Grundsatzes, dass dort, wo massenhaft Urheberrechte verletzt werden, auch grundsätzlich massenhaft abgemahnt werden darf.

6. Schließlich auch ein (selbst-)kritischer Satz zu den die Filesharing-Abmahnungen abwehrenden  Anwaltskollegen: Auch der mit der Abwehr der Abmahnung befasste Rechtsanwalt ist sich - selbstverständlich und naturgemäß - nicht zu schade, mit seiner anwaltlichen Dienstleistung und seinem juristischen und sachverhaltlichen Know-how Geld zu verdienen. Dies allerdings ohne selbst oder im Zusammenwirken mit seiner Mandantschaft originär generierte Massen-Handlings und lediglich in Reaktion auf die oben und anderswo beschriebenen professionalisierten Missstände und Fehlentwicklungen.

Mittwoch, 12. Mai 2010

BGH-Urteil zur Störerhaftung bei unzureichend gesichertem WLAN-Anschluss und Konsequenzen für Filesharing-Abmahnungen

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit heutigem Urteil vom 12.05.2010 - I ZR 121/08 - ("Sommer unseres Lebens") einige Klarstellungen im Zusammenhang mit offenen Fragen bei Filesharing-Abmahnungen getroffen. Gleichzeitig bleiben allerdings auch weiterhin einige Problemfelder ungeklärt.

Festhalten lässt sich im derzeitigen Stadium - die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor - die folgenden Schlüsse:



1. Bei nicht ausreichend gesichertem WLAN-Anschluss haftet der private Anschlussinhaber nach den Rechtsgrundsätzen der Störerhaftung auf Unterlassung und auf Erstattung der Abmahnkosten, wenn der nicht ausreichend gesicherte WLAN-Anschluss von unberechtigten Dritten für Urheberrechtsverletzungen - beispielsweise im Rahmen von Filesharing - genutzt wurde.


2. Wird lediglich ein Musiktitel im Rahmen unberechtigter Tauschbörsen-Teilnahme öffentlich zugänglich gemacht, findet die Bagatellklausel des § 97a Abs. 2 UrhG Anwendung mit der darin geregelten Obergrenze für die anwaltlichen Kosten einer erstmaligen Abmahnung in Höhe von 100,00 Euro.


3. Dem privaten Betreiber eines WLAN-Netzes kann nicht zugemutet werden, die Netzwerksicherheit fortlaufend dem neuesten Stand der Technik anzupassen und dafür entsprechende finanzielle Mittel einzusetzen. Privatpersonen haben insofern lediglich die im Zeitpunkt der Installation des Routers für den privaten Bereich marktüblichen Sicherungen aufrecht zu erhalten und deren Einhaltung regelmäßig zu prüfen.
Sie sollten es allerdings nicht bei den werkseitigen Standardsicherheitseinstellungen des WLAN-Routers belassen und das vorgegebene Passwort durch ein persönliches, ausreichend langes und sicheres Passwort ersetzen.


4. In den Fällen der obigen Ziff. 1. ist der Anschlussinhaber mangels Vorsatz nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Der BGH bewertet den Anschlussinhaber in derartigen Fällen weder als Täter, noch als Gehilfen oder Teilnehmer der durch einen unberechtigten Dritten vorgenommenen Urheberrechtsverletzung.


5. Nicht abschließend geklärt wird durch das BGH-Urteil vom 12.05.2010 die Frage, welche Art der Absicherungen bzw. Verschlüsselungen vom BGH als zum Zeitpunkt der Installation des Routers jeweils "marktübliche Sicherung" angesehen wird. Dies wird insofern auch zukünftig einer der offenen Streitpunkte bleiben und im Einzelfall ggf. auch erst durch Sachverständigen-Beweis einer Klärung näher gebracht werden können.

Als aktueller Mindest-Sicherungsstandard wird derzeit eine WPA2-Verschlüsselung verlangt.


6. Das BGH-Urteil wird nach Vorliegen der vollständigen schriftlichen Entscheidungsgründe genau zu analysieren sein, zeigt allerdings bereits jetzt Grenzen für Filesharing-Abmahnungen gegenüber Privatpersonen auf. Andererseits bleiben z. B. offene Fragen nicht ohne Dramatik für gewerbliche Betreiber von Hotspots, Internet-Cafes o. Ä.  im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 8 TMG.

Ergänzung vom 03.06.2010: Zwischenzeitlich liegen die schriftlichen Entscheidungsgünde des I. Zivilsenates vor, die ich hier recht kritisch kommentiert habe.