Freitag, 26. November 2010

Das Ende des fliegenden Gerichtsstandes bei Internet-Veröffentlichungen? Kein Wunsch-Gericht für Abmahner?

Über zwei aktuelle Urteile vom Amtsgericht Charlottenburg aus November 2010 (226C130-10, 226 C 128/10) berichtet Andreas Maurer im Blog 1und1.

Danach sind die Stunden der ungehemmten Ausnutzung des fliegenden Gerichtsstandes durch Abmahner und Rechteverwerter gezählt. Das Amtsgericht Charlottenburg leitet seine die Anwendbarkeit des § 32 ZPO für die Geltendmachung presserechtlicher Ansprüche wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung stark eingrenzende Rechtsauffassung aus den Entscheidungen des BGH v. 10.11.2009 (VI ZR 217/08, Vorlagebeschluss zum EuGH) und v. 02.03.2010 (VI ZR 23/09, New York Times-Urteil)  ab - mit m.E. interessanter, allerdings bei aktueller Gesetzeslage wohl von den Obergerichten eher nicht mitgetragener Manier.

Immerhin gibt es zum fliegenden Gerichtsstand im Zusammenhang mit vermeintlichen Rechtsverletzungen durch Internet-Veröffentlichungen bereits vergleichbare Vorstöße anderer Gerichte wie z.B.


Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Urteil v. 17.02.2000 – Az.: 2 U 139/99
LG Krefeld, Urteil v. 14.09.2007 – Az.: 1 S 32/07
AG Frankfurt a.M., Urteil v. 13.02.2009 – Az.: 32 C 2323/08
AG Frankfurt a.M., Beschluss v. 21.08.2009 – Az.: 31 C 1141/09-16
OLG München, Urteil v. 08.10.2009 – Az.: 29 U 2636/09.

Für die gegenteilige herrschende Meinung in der Rechtsprechung sei exemplarisch verwiesen auf

LG Frankfurt a.M., Urteil v. 05.11.2009 – Az.: 2/3 S 7/09
OLG Rostock, Beschluss v. 20.07.2009 – Az.: 2 W 41/09,

die eine eher weite Anwendbarkeit des § 32 ZPO auch  insbesondere im urheberrechtlichen oder wettbewerbsrechtlichen Kontext befürworten.

Die immerhin zunehmend kritischen Bewertungen einer “beliebigen” Gerichtswahl der professionellen “Rechteverwerter” gehen wohl auch einher mit der immer offensichtlicher in Erscheinung tretenden, kritikwürdigen Massen-Handhabung des “Geschäftsmodells Abmahnung”. Insofern können derartige vereinzelte Rechtsprechungs-Tendenzen grundsätzlich begrüßt werden, ohne dass man derzeit diese Einzel-Entscheidungen allerdings zu sehr überbewerten darf: Gefragt ist in diesem Zusammenhang eher und vornehmlich der Gesetzgeber.

Mittwoch, 17. November 2010

Berechtigte Zweifel an Filesharing-Abmahnungen. Hashwert als fehlerhafte Ermittlungs- und Beweisgrundlage.

Eine Entscheidung des OLG München vom 27.09.2010, Az. 11 W 1894/10, spricht in justizbehördlich bisher kaum dokumentierter Klarheit begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit von Rückschlüssen aus generierten Hashwerten im Zusammenhang mit Filesharing-, bzw. P2P-Ermittlungen aus. Das OLG korrigiert dabei einen noch anderslautenden Beschluss des Landgerichts München I vom 13.07.2010, Az. 7 O 972/10, und gibt den Empfängern von Filesharing-Abmahnungen weitere Abwehr-Argumente.

Der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München führt u.a. aus:

…Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann aus dem Vorliegen abweichender Hashwerte nicht zwingend der Schluss gezogen werden, dass die Verletzungshandlungen von mehreren unterschiedlichen Personen begangen worden sind. Wie die Antragstellerin nämlich unter Bezugnahme auf die Ausführungen der mit der Feststellung der Rechtsverletzungen beauftragten Firma zutreffend dargestellt hat, können Hashwerte auch bei einem mehrfachen Download durch ein und dieselbe Person, wie er gerade bei den Nutzern von Tauschbörsen nicht selten vorkommt, unterschiedlich sein."

Weiter heißt es in dem aktuellen OLG-Beschluss:

"Wie die dem Senat derzeit vorliegenden 13 Beschwerdeverfahren anschaulich gezeigt haben, ist die Feststellung der Anzahl der unterschiedlichen Hashwerte in der Praxis sehr aufwändig und mit einer hohen Fehlerquote behaftet. So musste das Landgericht in vier Fällen auf die Erinnerungen der Antragsteller hin die Zahl der maßgeblichen Hahswerte teilweise erheblich korrigieren."

Die in vielen Filesharing-Abmahnungen zur Schau gestellte vermeintliche Verlässlichkeit der für die Auskunftsansprüche nach § 101 Abs. 9 UrhG sowie für etwaige anschließende Eil- oder Klageverfahren von den Rechteverwertern angewendeten Ermittlungs-Methoden und vorgelegten Ermittlungs-Dokumentationen ist folglich keineswegs gesichert.

Dies passt zu den bereits seit längerer Zeit in relevanten Foren geäußerten Hinweisen zu Manipulationsmöglichkeiten bei der Generierung von Hashwerten.

Montag, 15. November 2010

Kunstfreiheit siegt über Urheberrecht. Mit Grundrechten gegen Abmahnungs- und Verwertungs-Mentalität.

Nachdem eine verfassungsrechtliche Güter- und Interessenabwägung über die gesetzlichen Schranken des Urheberrechts hinaus von den Gerichten in der Vergangenheit strikt abgelehnt wurde (vgl. Grass-Briefe-Urteil des Kammergerichts v. 27.11.2007, Az. 5 U 63/07 und Gies-Adler-Entscheidung des BGH v. 20.03.2003, Az. I ZR 117/00), scheint sich das Blatt nun vielleicht doch zu wenden. Und zwar zugunsten einer sensibleren Berücksichtigung der widerstreitenden Grundrechte insbesondere aus Art. 5 GG im Verhältnis zur verbreiteten Abmahnungs- und Verwertungs-Mentalität.

Der 6. Senat des OLG Brandenburg hat mit Urteil vom 09.11.2010, Az. 6 U 14/10 der Kunstfreiheit eines Autors (Buchtitel: "Blühende Landschaften") im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit der Rolle der Presse während der Wende-Zeit den Vorzug gegeben vor der urheberrechtlich geschützten Position des Zeitungsverlages an den streitgegenständlichen Zeitungsartikeln und Lichtbildern. Die literarische Collage und Montage und die damit geschaffenen Anschauungsobjekte genießen nach Einschätzung der brandenburgischen Richter gesteigerte verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit, um die politische und soziale Atmosphäre im Rahmen der dargestellten Ereignisse erfahrbar machen zu können. Insofern sah sich das OLG zur "kunstspezifischen Auslegung" des Urheberrechts veranlasst. Die künstlerische Freiheit dürfe in einem derartigen Fall auch nicht durch das etwaige Erfordernis einer Einwilligungseinholung eingeschränkt werden.

Den Entscheidungsgründen darf mit Spannung entgegengesehen werden. Die Revision zum BGH wurde zugelassen.

Dienstag, 2. November 2010

Mehr Manpower für Filesharing-Abmahnungen: Das immer größere Back-Office der Abmahn-Kanzleien

Mit der personellen Aufrüstung einer vielbeschäftigten Abmahn-Kanzlei aus München und dem Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" als "Konjunkturmotor" befassen sich die aktuellen Blog-Beiträge der Kollegen Rechtsanwälte Thomas Stadler ("Internet-Law") und Alexander Schultz ("PaLAWa").

Die aufschlussreich analysierte personelle Aufstockung wirft u.a. auch die Frage auf, ob die  anwaltliche "WoMan-Power" primär für weitere außergerichtliche (Filesharing-)Abmahnungen und deren außergerichtliche "Nachbereitung" oder für die immer wieder angekündigte bzw. angedrohte gerichtliche Verfolgung der (vermeintlichen) urheberrechtlichen Ansprüche eingesetzt wird. Die tatsächlichen Abläufe dokumentieren eher, dass das Back-Office in München die zweiten und dritten außerprozessualen Nachbearbeitungs-Wellen betreuen ... zum größten Teil mit zwar kontinuierlich gepflegten, aber in der Masse einheitlichen, formularmäßigen Textbausteinen. Die Zahl der tatsächlich durchgeführten Klageverfahren hält sich in relativ überschaubaren Grenzen. Insbesondere auf dem Streit-Feld etwaiger Schadensersatz- und/oder Kostenerstattungsansprüche gibt es eben für  beide  Seiten nicht unerhebliche prozessuale Risiken. Wenn sich diese zu Lasten der Abmahnungsbranche öfter als von dort gewünscht realisieren, gefährdet dies naturgemäß das gesammte Geschäftsmodell der Abmahner. Selbst die erste höchstrichterliche Befassung mit dem spezifischen Thema "Filesharing-Abmahnung" und "WLAN-Störerhaftung" (BGH-Urteil vom 12.05.2010) brachte für beide Seiten schließlich Brot und Steine. Das Geld liegt beim Thema Abmahnung eben eher auf der Straße als im Gerichtssaal, in dem auch nicht in gleicher Weise die psychologischen Tricks entfaltet werden können, wie dies im Rahmen der - personell verstärkten - außergerichtlichen Abmahnungs-Maschinerie geschieht.