Sonntag, 10. Oktober 2010

Das Drama "Filesharing-Abmahnungen". Es gibt ein Leben nach der Abmahnung.


Bei allem Verständnis für im Einzelfall ihre zu respektierenden Rechte wahrnehmenden Urheber und Rechteinhaber: Wenn das Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" per Anwaltspost zuschlägt, sind viele Internetnutzer über alle Maßen geschockt, entsetzt und teilweise auch verzweifelt:

So sitzt die Mutter von drei jugendlichen Söhnen wie ein Häufchen Elend mir gegenüber und weiß überhaupt nicht, wie ihr geschieht. Da braucht es zunächst mal ein paar beruhigende Worte und einige auch für den technischen und medialen Laien verständliche Erläuterungen, was ihr persönlich überhaupt vorgeworfen wird und wie P2P-Syteme grundsätzlich funktionieren.

Damit kennt sich der ebenfalls mit einem Abmahnungsschreiben geschockte Student zwar recht gut aus. Er sieht aber ungeachtet dessen seine Zukunft, insbesondere seine berufliche Karriere, schon in den düstersten Farben, zumal er die von ihm angstrebte Anstellung im öffentlichen Dienst nun für ernstlich gefährdet erachtet.

Und der gegen Abend im Büro erscheinende Facharbeiter, der von seiner gerade überstandenen Scheidung und seinen Kreditraten erzählt und der die ersten drei anwaltlichen Aufforderungen zur Zahlung von "entgegenkommenden" Vergleichsbeträgen und zur Abgabe unterschiedlich formulierter strafbewehrter Unterlassungserklärungen aus Angst vor Schlimmerem befolgt hatte, der weiß kurz nach seinem Feierabend an unserem runden Tisch nicht, wie er weitere Schadensersatz- und Kostenerstattungsbeträge noch aufbringen soll.

Einige der Vorgenannten (Einzelheiten wurden aufgrund der anwaltlichen Schweigepflicht selbstverständlich beliebig kombiniert) haben von dem aktuellen WLAN-Urteil des BGH vom 12.05.2010 gehört, ohne wirklich etwas damit anfangen zu können. Andere haben aus dem Fernsehen oder im Rahmen eigener Internet-Recherchen unterschiedliche und teilweise widersprüchliche Informationen und Empfehlungen erhalten. Allen gemeinsam ist, dass sie gerade ein "Drama" aus Erschrecken, Überforderung, Verärgerung und vermeintlicher Ausweglosigkeit erleben.

Das Drama entwickelt zunächst ein sich als unauflöslich darstellendes Eigenleben, zumal wenn man die mit Fachterminologie, Paragraphen und Urteils-Zitaten gespickte Abmahnungspost kurz vor oder unmittelbar am Wochenende oder auch nach Urlaubsrückkehr im Briefkasten vorgefunden hat und schnelle Hilfe oft nicht sofort greifbar ist oder relativ kostspielig erscheint. Der Inhalt des Schreibens ist recht umfangreich, teilweise unverständlich und in jedem Fall stressfördernd. Irgendwas scheint dran zu sein, irgendwas kommt einem aber auch komisch vor.


Ist das ein Formular, ein Rundschreiben? Wie kommen die auf mich? Warum bieten die gleich eine massive Herabsetzung des "Preises" an? Stimmt das alles? Was kann danach kommen? Kann man da noch was machen? Das sind nur einige der Fragen, die sich den Internet-Anschlussinhabern aufdrängen.

Was ist mit den behaupteten Schadens-Szenarien? Was ist mit den Ansprüchen auf  Unterlassung, Auskunft, Löschung, Vernichtung, Aufwendungsersatz und Kostenerstattung?

Wie verhält es sich mit den angeblich festgestellten und dokumentierten Recherche-Ergebnissen und deren vermeintlichen Konsequenzen auch im Zusammenhang mit dem landgerichtlichen Beschluss nach § 101 Abs. 9 UrhG, auf den verwiesen oder der sogar beigefügt wird?

Sind die Streitwerte und Kostenerstattungsbeträge, die in den Raum gestellt werden, realistisch bzw. seriös?

Wie hoch sind die Prozess-Risiken? Und was bedeutet das Thema Vertragsstrafe für mich?

Soll ich eine modifizierte strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben und wenn ja, in welcher Form?

Wie soll ich das in der kurzen Frist geregelt kriegen?

Die ständig wachsende Zahl irritierter und verängstigter Abmahnungs-Adressaten gibt berechtigten Anlass, im Zusammenhang mit etlichen Filesharing-Abmahnungen die Frage nach der Verhältnismäßigkeit und den Geboten von Treu und Glauben zu stellen.


Eins sei allerdings aus Anlass der immer gehäufter und zunehmend dreister auftretenden Abmahnungszunft grundsätzlich gesagt: Es gibt ein Leben nach der Abmahnung. Der auftretende Stress trifft unzählige Leidensgenossinnen und -genossen und hat System - und zwar ein Drama-System, das nicht unfehlbar, nicht untadelig und nicht unschlagbar ist.

Es lassen sich viele Fehler vermeiden und man kann eine Menge richtig machen.

Ein besonnener und sachgerechter Umgang mit der Abmahnung und dem Thema "Filesharing", "Tauschbörse" bzw. "P2P" sowie die Einholung kompetenter Hilfe zur Abwehr der Abmahnung und zur etwaigen Abgabe einer im konkreten Fall interessengerechten modifizierten strafbewehrten Unterlassungserklärung ist machbar.

Kopf hoch und Bühne frei für das Ende des Dramas.

Samstag, 2. Oktober 2010

Manche mögen's heiß: Mehrfach-Abmahnungen, Hot Spots und Cafés

Aus aktuellem Anlasss der Schließung von zuvor offenem WLAN für die Gäste einer Düsseldorfer Café-Kette hier zunächst nochmals Auszüge meiner bereits vor dem WLAN-Urteil des BGH vom 12. Mai 2010 geäußerten medienrechtlichen Einordnungen zu Risiken und Chancen von Hot Spots (oder Hotspots) im Hinblick auf drohende oder bereits erhaltene urheberrechtliche Abmahnung wegen Filesharing. Das Thema Störerhaftung bleibt weiter spannend ... und offen!

Und so hörte sich das vor  fünf Monaten - m.E. zu Recht - an:
Besonders könnte das Urteil die erwähnten Heißpunkte bzw. Hotspots treffen .. und deren bisherige Nutzer. Da kann es schnell passieren, dass einem das "Halzband"-Urteil (I ZR 114/06) im Hals stecken bleibt; aber wem?


Bei Hotspots erleichtert m. E. wie so oft ein Blick in das Gesetz die Rechtsfindung


Das Telemediengesetz (TMG) regelt die Haftung eines Diensteanbieters im Telekommunikationsrecht. Als Diensteanbieter gilt gemäß § 2 TMG 

jede natürliche oder juristische Person, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt. 

Zu den Telemedien gehört unzwiefelhaft auch das Internet.
In § 8 Abs. 1 TMG heißt es dann:
 
Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie in einem Kommunikationsnetz übermitteln oder zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich, sofern sie
 1.
die Übermittlung nicht veranlasst,
 2.
den Adressaten der übermittelten Informationen nicht ausgewählt und
 3.
die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben.

Ein Hotspot-Betreiber ist grundsätzlich Diensteanbieter i. S. d. Telemediengesetzes, da er anderen seinen Internetzugang zur Verfügung stellt. Ob er dies gewerblich oder zu privaten Zwecken macht, ist für die Anwendung des TMG an dieser Stelle nicht relevant. Der Diensteanbieter haftet, wenn er anderen seinen Webzugang zur Verfügung stellt, nur dann, wenn er Kenntnis von den über seinen Anschluss begangenen Rechtsverstößen hat und nicht etwa generell und immer.

Nach § 7 Abs. 2 TMG besteht auch keine Pflicht des Hotspot-Betreibers, den Webzugang nach rechwidrigen Benutzungen zu untersuchen bzw. zu kontrollieren oder zu überwachen. Im Gesetz heißt es dazu:

Diensteanbieter im Sinne der §§ 8 bis 10 sind nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.

Wenn der 1. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes die gesetzlichen Vorgaben zur Haftungsbeschränkung derjenigen beachtet, die bewusst, gewollt und damit "schuldhaft" (vorsätzlich) Webzugänge für Dritte (seien es z. B. Kunden, Gäste oder Besucher) schaffen, muss er eigentlich im Erst-Recht-Schluss die Begrenzung der Haftung auch für Anschlussinhaber anwenden, die ohne entsprechenden Plan, ohne Vorsatz und unfreiwillig praktisch zum "Diensteanbieter" werden - egal ob von Dritten (ohne vorherige Kenntnis des Anschlussinhabers) Mai-Lieder, Rap-Songs oder Hardcore-Filme öffentlich beim Filesharing zugänglich gemacht wurden.

Die Instanzen-Gerichte und die meisten Anwälte (anders als z. B. die Kollegen Stadler und Euler) haben bisher das TMG praktisch links des Maiwaldes liegen lassen. Wir wollen hoffen, dass der BGH den Baum vor lauter Wald sieht und bei seinen Abwägungen die Wertungen des TMG-Gesetzgebers angemessen berücksichtigt.

Ein unbegrenzter Freibrief wird den Hotspots - und anderen Anschlussinhabern - ohnehin am 12. Mai 2010 nicht geschrieben werden: Nach Kenntnis, für die die Abmahner oder Kläger wohl in den meisten Fällen "sorgen", bleibt für den Hotspot-Betreiber - wie für jeden anderen Anschlussinhaber - "nichts wie vorher"; dann beginnen in jedem Fall Untersuchungs- und Überwachungspflichten. Dies wird nicht selten zur anschließenden Schließung des offenen W-LAN-Hotspots führen. Der (Mai-)Regen scheint mal wieder für alle sicher.