Freitag, 28. Mai 2010

Mit allen Mitteln: Die psychologischen Tricks bei Abmahnung wegen Filesharing

Das Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" funktioniert in größerem und wachsendem Ausmaß seit über fünf Jahren. Ein Rückgang der Auskunftsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG und der danach verbreiteten Abmahnungsschreiben ist - auch nach dem WLAN-Urteil des BGH vom 12.05.2010 - nicht absehbar.

Um es vorweg zu nehmen: Nicht jede Abmahnung ist per se unanständiger "Psycho-Terror".

Bei etlichen Abmahnungs-Pamphleten spielen allerdings gezielte psychologische Strategien der Abmahnungs-Branche eine nicht unbedeutende Rolle, um die Internet-Anschlussinhaber und Abmahnungs-Empfänger subtil zu beeinflussen bzw. unter Druck zu setzen


In der anwaltlichen Praxis tauchen immer wieder insbesondere die folgenden Manöver auf:


 1. Die Abmahnungspost erreicht die Adressaten gehäuft kurz vor dem oder am Wochenende, kurz vor Feiertagen oder während der Ferienzeit, um die Einholung kurzfristiger anwaltlicher Beratung bzw. Hilfe zu erschweren, den etwaigen familiären Zwist zusätzlich zu schüren und den Psycho-Stress noch zu erhöhen.

 2. Das Abmahnungsschreiben wird mit komplexer Fachterminologie gespickt, um zum einen besonders bedeutungsschwangere Eindrücke zu vermitteln und zum anderen eine kritische Auseinandersetzung mit den Abmahnungs-Thesen zu erschweren und zu unterdrücken.

 3. Aus den gleichen Gründen werden zahllose, z. T. veraltete und singuläre Gerichtsentscheidungen benannt und/oder zitiert.

 4. Das Abmahnungsschreiben wird mit den vorbeschriebenen Inhalten und weiterer juristischer Prosa übermäßig aufgefüllt und "verlängert", um auch hierdurch den Lese-Stress für den juristischen Laien zu erhöhen.

 5. Die Diktion der Abmahnung ist sehr entschieden, vielleicht sogar scharf und bedrohlich - unter missverständlicher Vorspiegelung angeblich handgreiflicher extremer Bestrafungs- und Verteuerungs-Risiken.

 6. Eine andere Variante ist die bemüht freundliche, zugewandte Ansprache, die sich vermeintlich vornehmlich um die Interessen des bzw. der Abgemahnten sorgt.

 7. Im Laufe nachfolgender Korrespondenz kann sich die vorbeschriebene Taktik jeweils austauschen oder ändern (nach dem Motto: Wenn es im Guten nicht geht, ...).

 8. Aktuellere, die Rechtsposition des oder der Abgemahnten verbessernde Rechtsprechung wird verschwiegen oder mit zweifelhafter Argumentation als nicht einschlägig deklariert.

 9. Es werden unzutreffende und übertriebene Schadens-Szenarien dargestellt zur "politischen" und klimatischen Rechtfertigung der Abmahnungs-Aktion.

 10. Die vermeintliche Qualität bzw. Wertigkeit des vermeintlich betroffenen Werkes wird unrealistisch übertrieben.

 11. Die unterschiedlichen Voraussetzungen unterschiedlicher urheberrechtlicher Ansprüche ( gerichtet etwa auf Unterlassung, Auskunft, Löschung, Vernichtung, Schadensersatz, Aufwendungsersatz und Kostenerstattung) werden in missverständlicher und/oder unzutreffender Weise vermischt.

 12. Die möglichen bzw. angebrachten technischen und/oder prozessualen Zweifel hinsichtlich der angeblich festgestellten und dokumentierten Recherche-Ergebnisse und deren vermeintliche Konsequenzen werden verschwiegen oder verniedlicht (z. B. bzgl. dynamischer IP-Adresse, Datei-Name, Hash-Werte, Gutachten etc.).

 13. Die im summarischen Verfahren ergangenen landgerichtlichen Beschlüsse nach § 101 Abs. 9 UrhG werden überinterpretiert, als wenn damit praktisch die Verantwortlichkeit der abgemahnten Anschluss-Inhaberin bzw. des abgemahnten Anschluss-Inhabers bereits gerichtlich festgestellt worden ist.

 14. Es werden Streitwerte und Kostenerstattungsbeträge in den Raum gestellt, die mit dem konkreten Fall oft nichts zu tun haben.

 15. Schließlich wird ein "großzügiger" Vergleich mit einem vermeintlich entgegenkommenden Vergleichsbetrag angeboten zur "endgültigen" Erledigung der Angelegenheit und zur Vermeidung von Schlimmerem, insbesondere zur angeblichen Vermeidung ansonsten bevorstehender Gerichtsverfahren (einstweilige Verfügung und/oder Klage), wobei gleichzeitig eine unangemessene und nicht verantwortbare strafbewehrte Unterlassungserklärung vorgelegt wird, die angeblich keinesfalls verändert werden darf.

 16. Der oder die Abgemahnte wird so in diffusen Stress versetzt, der durch knappe Fristsetzung noch erhöht wird.


Dieses Vorgehen gibt erneuten Anlass, im Zusammenhang mit etlichen Filesharing-Abmahnungen die Frage nach der Verhältnismäßigkeit und dem Gebot von Treu und Glauben zu stellen.

Ein besonnener und sachgerechter Umgang mit der Abmahnung und dem Thema "Filesharing", "Tauschbörse" und "P2P" sowie die Einholung kompetenter Hilfe zur Abwehr der Abmahnung und zur etwaigen Abgabe einer im konkreten Fall modifizierten interessengerechten strafbewehrten Unterlassungserklärung soll durch derartige Psycho-Tricks sicher nicht gefördert werden.